Wir sind da einer Meinung (gewesen): Der eigene Tod.
Jetzt endlich habe ich ja das posthum erschienene Buch „Vor der Verwandlung” von Erwin Strittmatter zu lesen begonnen. Und schon auf der vierten Seite mit Text werde ich fündig (Gedanken nach einem Autounfall sind es) …
Ich werde von der schon so oft erlebten Absicht beschlichen, selber über meinen Tod zu verfügen. In so Augenblicken fühle ich eine Pistole in der Hand, spüre das kalte Metall an der Schläfe, ich höre den Knall, aber ich vermisse danach die Befreiung, auf die ich hoffte.
Erwin Strittmatter: Vor der Verwandlung. Aufzeichnungen. S. 8
1. Auflage 1991. © Aufbau-Verlag GmbH, Berlin 1995
ISBN 3-351-03002-9
Oh, schwieriges Thema. Freitod, Selbstmord oder – wie man es heute nennt – Suizid. Wahrscheinlich hat jeder Mensch (ab einem gewissen Alter) schon darüber nachgedacht. Besser: Darüber nachgedacht, wie „das alles” beendet werden kann. Ziel ist nämlich bei mir zum Beispiel nicht ein einziges Mal das Sterben, niemals der Tod gewesen. Ich vermutete, erhoffte und erwartete darin eine Möglichkeit, das empfundene Leid, die Wertlosigkeit, die „Schuld an allem” zu beenden; außerdem ginge es den Menschen, die ich liebe, besser ohne mich und mein Versagen. Einen anderen Weg scheint schien es regelmäßig nicht zu geben.
Ja, ich habe auch (immer rechtzeitig selbst abgebrochene) Versuche unternommen. Warum ich es dann überhaupt versucht habe? Siehe oben. Warum ich dann doch immer wieder gekniffen habe? Tja, das hatte mehrere Gründe: Die Angst vorm (schmerzhaften) Sterben war zu groß; ich könnte die erhoffte Erleichterung nicht selbst erleben; ich würde die Menschen noch heftiger belasten als sowieso schon; bei meinem Geschick und Glück würde ich es sowieso nie richtig hinbekommen und dann elendig weiterexistieren usw. usf. Aber: Die Möglichkeit zu haben, jederzeit alles beenden zu können, die gab mir tatsächlich zeitweise den Mut und die Kraft weiterzuleben.
Nach dem Sterben bin ich tot. Da ist nur noch Nichts, jedenfalls nichts, das ich mir vorstellen, an das ich glauben kann. Und somit hätte ich auch niemals die erhoffte Entlastung meines Seins spüren können, nach dem Sterben.
Unter anderem deshalb also lebe ich noch: Weil es mir danach ganz sicher nicht besser gegangen wäre. Weil ich dann vieles nicht mehr hätte erleben können. Und weil es niemandem geholfen hätte, es niemandem besser gegangen wäre. Und so habe ich mich irgendwann in der Vergangenheit von dem Gedanken verabschiedet, von der sicheren Möglichkeit verabschiedet. Ja, das ging erst, nachdem eine meiner Erkrankungen behandelt (nicht aber vollständig geheilt) wurde. Vorbei …
Wie bekomme ich jetzt die Kurve hin … Weg von der Trübsinnigkeit, der traurigen Vergangenheit, hin zum Leben? Ich weiß es nicht. Ich habe irgendwann gemerkt, das (fast) alles besser ist, erlebenswerter ist als Nichts. Vor allem: Das Nichts kann ich mit Sicherheit nicht als Befreiung wahrnehmen. Und das zu „erleben” wäre eine gigantische Enttäuschung, noch eine, eine überflüssige, nicht wahr?
Ich lebe. Und ich habe mit Sicherheit vor, das noch ein paar Jahre so weiterzumachen. Vielleicht mit ein paar mehr besonderen Momenten als zur Zeit. — Warum nun aus der Idee, den Strittmatterschen Worten ganz viel Lebensmut entgegenzustellen, dieser Text hier entstand? Ich weiß es nicht, er schrieb sich einfach so. Außerdem saß ich am Nachmittag da und hatte noch etwas ganz anderes, dringendes zu tun: Ich mußte das Buch vor dem Weiterlesen durchblättern, komplett. Denn es kam zu mir aus einem Öffentlichen Bücherschrank und ich habe versucht, all die Anstreichungen der Vorbesitzenden darin wegzuradieren, und ich weiß nicht, ob mir das wirklich gelungen ist. Denn selbst der schwächste Bleistiftstrich scheint einen unauslöschlichen Schatten auf den Seitenrändern hinterlassen zu haben. Nicht aber an der Stelle, die ich hier zitiere: Diese beiden Sätze waren nicht markiert.
Heute weggegeben bzw. entsorgt:
Drei alte Festplatten, die nicht mehr sicher funktionieren, landeten im Elektroschrott.
Mit einem Danke fürs Lesen schleiche ich mich davon.
P.S.: Am 25. Juli 2025 war ich zufrieden mit dem „gesäuberten” Buch, mit durchgesehenen und dann zu Altpapier gewordenen Kalendern, mit dem Unterwegssein draußen.
© 2025 – Der Emil. Eigener Text unter der Creative Commons 4.0 Unported Lizenz (Namensnennung, keine kommerzielle Verwertung, keine Veränderung).
Ich wäre viel zu neugierig wie es ohne mich weitergehen würde oder was ich verpasst hätte. Deshalb kam dies bei mir nie in Frage..
@deremil Sehr shöner Text 👍
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Danke.
@deremil
Berührt sehr. 💚
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Ich dachte mein Leben lang uner den Tod nach,
alle die mir wichtig waren gingen vor mir und starben viel zu jung oder nahmen sich das Leben.
Ich hab es unzählige Male versucht.
Ich wurde gerettet,
erst seitdem mein Mann sich das Leben nahm,
weiß ich das ich leben will.
Er hat mir nicht nur im lebendigen Zustand das Leben gerettet sondern auch noch einmal im Tod.
Wenn Du magst, fühl Dich umärmelt.
Schon der Tod an sich ist ein sehr spezielles Thema, wieviel mehr ist es das hier noch …
Angst habe ich nicht vor dem Tod, sondern vor dem Sterben.
Ich nicht, heute nicht mehr.
Ich hoffe immer noch es geht schnell ohne quälerei.
Danke für die Umarmung.
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