2025 – 016: Ungestört

Das unwohle Gefühl, anscheinend Nebensache zu sein.

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So ein Telefonat – warum nennen wir es nicht mehr Ferngespräch? – kann ja auch ziemlich anstrengend sein.

Gestern zum Beispiel. Eine sehr gute Bekannte rief an. Wir telefo­nieren regelmäßig, alle zwei Wochen zu einem festen Termin. Wenn ich einmal sehr abgelenkt bin, schreibe ich ihr eine Nachricht, daß ich gerade anderweitig zu beschäftigt bin, um mit ihr ein sinnvolles Gespräch führen zu können. Sie macht das nicht. Und so hörte ich all die anderen Dinge, die sie während der knappen Stunde „neben­her” erledigte, komplett mit; und auch die mir völlig Fremden, mit denen sie bei sich auf Arbeit sprach, verstand ich. Ich weiß jetzt also Dinge, die ich nicht wissen sollte. Meine mehrfach geäußerte Bitte, doch zu einer anderen Zeit mit weniger Ablenkung das Gespräch zu führen, wurde ignoriert: Sie ist ja multitaskingfähig und kann auch mehrere Dialoge gleichzeitig führen, und darunter leidet deren Qualität mit Sicherheit nicht.

Ich bin da ganz andrer Meinung. Ich spreche mit meinen Freunden gerne ungestört, bin sehr ungern Nebensache im direkten Kontakt. Daß das auch mit ihr möglich ist, weiß ich. Was ich nicht weiß: warum das gestern nicht möglich war. Es kam nichts zur Sprache, was so dringend gewesen wäre, daß sofort geredet werden mußte. Da waren keine lebenswichtigen Neuigkeiten, keine schwerwie­gen­den Probleme, keine großen Gefühle zu erkennen. Wie auch, in diesem heillosen Durcheinander? Wahrscheinlich war nur die halbe Zeit unser Gespräch das dominierende, die nebenher geführten brauchten wesentlich mehr ihrer Aufmerksamkeit. Und das ließ mich nicht nur etwas ratlos zurück. Deshalb grübele ich seit gestern über eine angemessene Reaktion. Soll ich meinen Unmut äußern in einer Nachricht, die ich ihr schreibe? Wie kann ich das formulieren, ohne mit ihr zu meckern? Wie kann ich ihr deutlich machen, daß ich mich im gestrigen Gespräch nicht wohlfühlte, mich zu nettem Beiwerk degradiert wahrnahm? Sie ist mir als … Ja, sie ist mir als Freundin in der Ferne zu wichtig, als daß ich sie vor den Kopf stoßen und am Ende gar verlieren möchte. Ach, immer diese Dilemmata.

Ich denke, ich werde ihr keine Nachricht schreiben. Ich werde mich im nächsten Telefonat auch nicht ähnlich verhalten wie sie in dem gestern. Das paßt nicht zu mir, das bin nicht ich. Aber ich werde mich hinsetzen und ihr einen Brief schreiben. In dem kann ich ihr mitteilen, was mich aus welchen Grund gestört hat, was zu meinem Unwohlsein führte, zu meinem Unbehagen; und das schaffe ich schriftlich ganz sicher besser als in einer (wahrscheinlich wesentlich kürzeren) Nachricht oder einem Telefonat zwischendurch, in dem sie mir (wahrscheinlich) mehrfach ins Wort fallen und mich so aus dem Tritt bringen könnte beim Erklären und Bitten. Aber beim Briefschreiben bleibe ich ungestört. Ich kann nur hoffen, daß sie mich dann versteht.

 

 

Erinnerung des Tages:
Vor 17 Jahren fanden sich in meinem Rucksack nicht nur Kondome, sondern immer auch Tampons und Binden; das endete, als das schwarze Gemüse hierzustadt sich verstreute.

 

Mit einem Danke fürs Lesen schleiche ich mich davon.

Der Emil

 

P.S.: Am 16. Januar 2025 war ich zufrieden mit dem späten Aufstehen (ja, ich mache mir dehalb keine Vorwürfe), mit einem glücklich erledigten Auftrag, mit Sauerkrautsalat am Abend.


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Über Der Emil

Not normal. Interested in nearly everything. Wearing black. Listening. Looking. Reading. Writing. Clochard / life artist / Lebenskünstler.
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5 Antworten zu 2025 – 016: Ungestört

  1. Nati sagt:

    Ich kann deinen Unmut gut verstehen Emil und würde mich ähnlich fühlen wie du. Selbst habe ich mich mal mit einer Bekannten getroffen um gemeinsam, mit einer Freundin von ihr, ein Kunsthandwerkermarkt zu besuchen. Anstatt sich mit uns zu unterhalten ist meine Bekannte ständig zu wildfremden Leuten gegangen die Hunde dabei hatten und hat sich ausgiebig mit denen unterhalten. Ihre Freundin und ich fühlten uns irgendwann abgeschrieben und haben die Veranstaltung verlassen. Seitdem habe ich weitere Treffen vermieden.

  2. Sonja sagt:

    Was ist das „schwarze Gemüse“?
    Das mit dem Brief ist eine sehr gute Idee!

  3. Elvira Volckmann sagt:

    In dieser Sache bin ich ganz bei dir! Ein Freund ruft mich oft über die Freisprechanlage seines Autos an. Nicht nur, dass die Verbindung häufig grottenschlecht ist, so sorge ich mich auch immer, dass er durch das Telefonat zu abgelenkt sein könnte und einen Unfall verursacht. Meine Söhne rufen mich manchmal an, während sie kochen. Gut, die Zeit ist knapp und das sind vielleicht Momente, in denen sie nebenbei mit mir sprechen können. Ich nehme das so hin, auch wenn es mir nicht gefällt. Persönlich nehme ich mir immer Zeit, wenn ich jemanden anrufe, widme mich ausschließlich diesem Gespräch.

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