299–2024: Einübung

Und ein philosophischer Moment des Erkennens.

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Den Bogen nehmen, aufheben, ihn vorm Körper halten: Eine in vielen Stunden erworbene Routine läßt den Vorgang zu einer ein­zi­gen, vollkommenen, geschmeidigen Bewegung werden. Nur leicht muß die Haltung der Schultern korrigiert werden. Ihr leichtes Anheben paßt nicht ganz zur Gelassenheit, zur Emotionslosigkeit, die sichere Treffer ermöglichen sollen. Beinahe unbeteiligt soll diese Waffe genutzt werden, Gefühle würden nur stören. Allein: Die geforderte Absichtslosigkeit bleibt unerreichbar. Ein Ziel impliziert doch die Absicht zu treffen? Das Denken und das Fühlen kommen immer wieder auf diesen Punkt zurück. Wer zielt, hat die Absicht, den Schuß zu lösen und mit dem Pfeil einen Treffer zu erzielen.

Den Bogen greifen, aufheben, vorm Körper halten. Mit der zweiten, ebenso vollkommenen und geschmeidigen Bewegung einen Pfeil aus dem Köcher ziehen, in den Bogen einlegen und – endlich! – die Sehne spannen. Sich der Kraft bewußtwerden, die dem Pfeil mit­gegeben werden kann. Sich der Flugbahn des Pfeiles sicher sein, auch, wenn der Blick nicht das Ziel erfaßt, wenn die Augen einen Punkt weitab vom Ziel fixieren. Und nun den angehaltenen Atem ausströmen lassen, neue Luft in die Lungen saugen. Dabei spannt sich der Bogen wie unabsichtlich ein klein wenig weiter. Jetzt, genau jetzt ist der Zeitpunkt, den Pfeil und die Sehne loszulassen.

Den Bogen entspannen, langsam, und dann den Pfeil wieder zu den den anderen zwei in den Köcher stecken. Und eine Erkenntnis: Wenn es möglich ist, den Bogen absichtslos weiter als möglich zu spannen, so kann auch ein Treffer im Ziel absichtslos geschehen. Das läßt sich ebenso lernen wie das Spannen des Bogens, das Einlegen des Pfeiles. Bestimmt werden nach weiteren Jahren des Übens eines Tages die Pfeile zu einem Ziel fliegen. Doch auch diese Übung ist noch lange nicht das Ziel, ganz gleich, wie geschmeidig und vollkommen sich Bogen und Pfeil bewegen und beherrscht werden. Aber es wird weiterhin geübt werden, das Erreichen der Absichts­losigkeit. Einer Absichtslosigkeit, die unbeteiligt niemals vollkommen sein kann.

 

 

Aufmerksame Leserinnen und Kennerinnen bemerken, daß ich mich nie tatsächlich mit Kyūdō (des Weges des traditionellen japanischen Bogenschießens) befaßte. Allerdings kämpfe auch ich immer wieder um diesen Zustand der Absichtslosigkeit, dieser besonderen Absichtslosigkeit, von der mir Übende dieses Sports berichteten.

 

Erinnerung des Tages:
Meine Großmütter kochten beide oft viel mehr, als gegessen werden konnte. Die Überschüsse wurden meist eingekocht.

 

Mit einem Danke fürs Lesen schleiche ich mich davon.

Der Emil

 

P.S.: Zufrieden war ich am 25. Oktober 2024 mit dem Verfolgen eines in meinem Kopfkino laufenden Filmes, mit dem für eine Bettdecke gefundenen (vorläufigen) Platz, mit der vorbereiteten Nudelsoße.

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Über Der Emil

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