Aus tiefer Liebe heraus
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Ungeschriebene Geschichte III
In der Tasche des Mantels steckte ein Brief. Alt ist er. Sehr alt. Auf dem Umschlag findet sich keine Briefmarke. Vorsichtig habe ich das Papier auseinandergefaltet, doch auch im Brief selbst steht kein Datum. Wegen der sehr sauberen, alten deutschen Schrift mit vielen Rundungen denke ich, daß er vor 1900 geschrieben wurde. Und all die Zeit, seit er geschrieben wurde, hat man das Papier pfleglich behandelt. Ja, an den Faltstellen ist es etwas dünn, an einer sogar schon auseinandergebrochen. Aber der Rest ist sehr gut lesbar, sehr gut erhalten. Das Entziffern bereitet mir keine Mühe: “Mein Lieber, wenn ich nur endlich Gelegenheit hätte, Dich wieder an mein Herz zu drücken. [ … ] Und wie ich Dir danken muß dafür, daß ich mich in Deiner Nähe so ganz als Dein Weib hab fühlen dürfen. Ach wie gerne ich das täglich und alltäglich wäre, mich Deinen Küssen und Liebkosungen hingeben würde. Deinem flehenden Ansturme aus tiefer Liebe heraus würde ich mich nicht mehr widersetzen können. Ach Liebster, so erwarte ich Deine Antwort sehnlichst und darf von meinem Vater mitteilen, daß auch in Bälde ein Aufgebot bestellt werden könne. Auf bald. Deine [ … ]”
Eine recht moderne Sprache, denke ich. Sorgsam falte ich den Brief wieder zusammen, schiebe ihn zurück in die Tasche des Mantels. Und wundere mich, wieso dieser alte Mann, der schon einige Wochen tot in seiner Wohnung lag, diesen Brief besaß und wahrscheinlich immer bei sich hatte. Vorerst sehe ich keine Verbindung zwischen der Absenderin oder dem Empfänger und ihm. Und wenn mir keine andere Idee kommt, werde ich ihm das Papier wohl auf sein Herz legen, dahin, wo er es vielleicht zu Lebzeiten immer trug, ehe wir den Sarg über ihm schließen.
Der Verfasser des Blogs schleicht davon und dankt für’s Lesen.
P.S.: Positiv am 24. April 2016 waren ein ruhiger Nachmittag im Radio, eine große Hilfe per Twitter, ein entspanntes Gespräch.
Tageskarte 2016-04-25: Die Zehn der Schwerter.
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Etwas, dass ich gerne weiterlesen würde <3
Das glaube ich Dir. Darfst und kannst Du auch, wenn Du es zuendeschreibst 😉
grmpf 😉
Dafür ist es einer der „Anfänge ungeschriebener Geschichten“ — eine eingefangene Phantasie; ich habe keine Zeit, die Cliffhanger zuendezuschreiben, denn mir kommen ständig neue in den Sinn. Wie vorhin gerade die mit dem 200-Eu-Schein auf dem Gepäcktrager eines rosa Elektrofahrrades, das vor der Notaufnahme der Unfallkinik steht …
Eine große Hilfe kam per Twitter zu dir? Und ich scheue mich davor, möchte dort nicht teilnehmen.
Der Feinpapierbehandlungsbrief ist sowas von wunderbar!
Ja. Twitter ist … nicht fakebock. Kultivierter (wenn man mag), weniger Werbung und Idioten. Du meldest Dich an und nach einer Weile wollte ich nicht mehr weg (okay, hat etwas gedauert, fast 2 Jahre habe ich es nicht wirklich genutzt), weil Du Menschen triffst, die Du zwar nicht kennst, aber ins Herz schließt.
Ach, und: Vielen Dank. (Briefe sollten immer fein behandelt werden, jedenfalls die, die nicht Rechnugen, Mahnungen, Werbung, Bescheide sind.)