Psychoingenieure? (#250)

Denk mal drüber nach, denk mal weiter!

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Stalin soll einmal gesagt haben:
 

 

«Der Dichter ist der Ingenieur der Seele.»

Ein Satz aus einer kurzen Szene am Anfang des Films “Das Leben der Anderen”
 
 

In einem Sachbuch über die Entstehung des “sozialistischen Realismus” klingt das zwar etwas anders (der Spiegel zitiert in diesem Artikel daraus), aber im Prinzip, im Prinzip(!) ist das die Intention des Stalinschen Trinkspruchs.

 

An dieser relativ frühen Szene bin ich gestern zum ersten Mal hängengeblieben im Film. Mir stellten sich die Nackenhaare auf bei diesem Satz und bei der Erwähnung desjenigen, der ihn so (sinngemäß) gesagt haben soll. Ich stoppte den Film und schrieb folgendes, um mir irgendwie Klarheit zu verschaffen.

 

Was ist die Seele? Ist sie dieser unsterbliche, “feinstoffliche” Teil des Menschen, in dem sein Glaube und seine Gefühle beheimatet sind / sein sollen? Der “von Gott gegebene” Anteil des menschlichen Seins?

Was ist der Glaube?

«Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht.» (Heb 11,1 Einheitsübersetzung).

Eine Überzeugung von, ein Wissen um etwas, das nicht gesehen und nicht gegriffen werden kann, die oder das aber auch nicht nach Beweisen fragen muß. So betrachtet, sind auch Agnostizismus, Atheismus, Quantenchromodynamik und Kosmologie nichts anderes als Glaube?!

Und Gott? (Oder wie ich das Höhere auch immer nennen mag.) Gott ist zumindest eine Idee (eine Theorie?), die viele Menschen als möglich, sogar als wahrhaftig existierend akzeptiert haben. Sie leben sogar für ihre und ganz (Mönche, Nonnen) oder teilweise (Laien in den Religionen) in ihrer Überzeugung von der Realität Gottes.

Zurück zur Seele. Oder ist es besser mit dem Begriff «Psyche» bezeichnet, das Unfaßbare, nicht Nachweisbare? Sind Seele und Psyche nun Synonyme oder nicht? Denn im täglichen, sogar im medizinischen Gebrauch werden beide Worte ziemlich gleichwertig benutzt.

Verwunderlich ist für mich, daß gerade Stalin, der – nennen wir ihn doch auch mal so – überzeugte Kommunist, von der Seele gesprochen haben soll. Nun, die Seele von Mütterchen Rußland war vielleicht etwas, das ihm am Herzen lag. Der Kommunismus allerdings hatte wenig mit der Seele zu schaffen, da ging es eher um das Bewußtsein, das “Klassen-Bewußtsein” der Menschen. (Nebenschauplatz: Braucht es eine Seele, um ein Bewußtsein zu erlangen?)

Zu Stalin paßt viel besser der Ingenieur. Und sein Ausdruck vom “Ingenieur der Seele” spricht für ein mechanistisches Bild von der Seele. Das widerum zeigt mir – nein, läßt mich glauben, daß der “große” Stalin nur wenig Ahnung von der Seele hatte. Oder er hat sich bewußt eher im Sinne der Wissenschaftlichen Weltanschauung geäußert, und nur seine eigene, kleine und kleinbürgerliche Meinung an diese angepaßt verpackt?

Der Dichter ist vieles, auch vieles ist er für die Seele: Balsam, Anreger, Aufreger, Tröster, Mutmacher usf. usf.

Aber ich weiß eines ziemlich sicher: Einen Ingenieur braucht die Seele – und auch die Psyche! – nicht …

 

 

Und nun, nun werde ich mir den Film heute nocheinmal ganz ansehen. Zum vierten oder fünften Mal.

Der Verfasser des Blogs schleicht davon und dankt für’s Lesen.

P.S.: Positiv am 5. September 2012 waren ein sehr interessantes Gespräch und die Zufriedenheit über mein Durchhaltevermögen.

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Über Der Emil

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0 Antworten zu Psychoingenieure? (#250)

  1. puzzle sagt:

    Das Wort „Ingenieur“ im eigentlichen, übersetzten Sinne ist ein sehr poetisches. Warum also nicht? Im Übrigen bedeutet nach meiner Auffassung das Stalinsche Wort keinen Widerspruch: eine Seele braucht Pflege. Wille und Fähigkeit zur Betrachtung haben nichts mit Technisierung, Normierung oder Entfremdung zu tun. Mag sein, daß ausgerechnet Stalin einen Gleichschaltungsgedanken dabei im Sinn hatte, aber ich zumindest interpretiere den Satz als einen der Fürsorge und „Wartung“ eines jeden Selbst. Andere Menschen überlassen das lieber einem Gott.

    • Frau Momo sagt:

      Vielleicht überlassen sie es Gott nicht, aber sie übernehmen die Verantwortung für die Wartung und Fürsorge mit seiner Unterstützung.
      Ich sehe meinen Glauben nicht so, das ich alles Gott überlasse und damit selber die Verantwortung ablege.

    • Der Emil sagt:

      Aber der Ingenieur ist technischer (herkömmlicher Technikbegriff) Fachmann mit theoretischer Ausbildung. Und einen Techniker brauche ich doch wirklich nur, wenn ich die Seele mechanistisch betrachte: stell ich hier an der Schraube, geschieht das, verändere ich dieses Bauteil, funktioniert das dort besser, modifiziere ich da einen Ablauf, ist die Funktion verbessert (effizienter)?

      Nun, ich habe ja nur meine Gedanken geäußert. Und ja, wenn ich an das «ingenium» denke, an die «sinneiche Erfindung» und den «Scharfsinn» – ja, dann stimmt es, was Du sagst. Mir lag eher die Zeugmeister-Funktion (ingeniarius) im Sinn, im Zusammenhang mit Stalin …

  2. Elvira sagt:

    Ein Ingenieur bedient sich der Naturwissenschaft um „Dinge“ zu erschaffen, das ist richtig. Für viele Projekte bedarf es zur Umsetzung einer ganzen Riege Ingenieure, die sich gegenseitig befruchten. Wir – und somit unsere Seele, denn durch sie definiere ich mich – werden vom ersten Schrei unseres Lebens (und früher) geformt und geprägt. Wenn Du es so willst, legen viele Ingenieure Hand an uns. Nun stellt sich die Frage, welche Dichter stehen welcher Seele zur Verfügung und machen ihren Einfluss geltend? Ich weiß nicht, warum mir beim Lesen des Posts die Bücherverbrennungen in den Sinn kamen. Denn das geschriebene, aufklärerische, ver“dichtete“ Wort ist auch ein Schreckgespenst, dem Diktatoren gerne den Kampf ansagen, bevor es die Seele erreicht. Von daher scheint mir Stalins Aussage sehr widersprüchlich zu sein.

    • Der Emil sagt:

      Braucht es tatsächlich Ingenieure? Für mich sind die Handwerker mit ihren reichen Erfahrungen, ihrem Gefühl für das Handwerk und das „Werkstück“, ihrem ästhetischen Empfinden und ihren fast (spi-) rituellen Bemühungen um das Gelingen – Künstler zähle ich eher zu den Handwerkern als zu den Wissenschaftlern oder Ingenieuren – das angenehmere Bild; unter anderem, weil im Handwerk werniger Normierungsdruck und mehr individuelle Anpassung üblich sind.

      • Elvira sagt:

        Es ist wahrscheinlich wirklich eine Frage der Definition. Leonardo da Vinci, ein doch unbestreitbar großer Künstler und Handwerker, trug bereits den Titel Ingenairius. Seine Werke haben meine Seele jedenfalls berührt.

  3. Tanja sagt:

    Psychoingenieure? Warum nicht, es gibt ja auch Psychoklempner! Ist nicht auch ein Gedicht, ein Handwerk, oder der Mensch selbst? Trotzdem denke ich, das man in das Innere (die Seele) nicht blicken kann. Man kann sie streicheln oder auch zerstören, aber nie wissen was inne wohnt.

    • Der Emil sagt:

      Handwerk, Kunsthandwerk (und Kunst) sind aber schon etwas anderes als das Ingenieuerwesen … Und den Psychoklempner/Seelenklempner ziehe ich dem Seelen-Ing. vor.

  4. Mia sagt:

    Der zitierte Satz von Stalin will mir inhaltlich so gar nicht passen. Diese Aussage steht für mich in einem sehr großen Widerspruch. Ein Dichter drückt Seelenworte aus, Gefühlszustände, Empfindungen, persönliche Wahrnehmungen, Feinsinniges. Da will mir der mechanisch-technische Gedanke eines Ingenieurs irgendwie gar nicht passen. Vielleicht meinte er eine rein funktionale Seele ohne eigene Denke und Ansprüche. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr habe ich den Endruck, dass Stalin da was nicht kapiert hat. Sorry.

  5. Interessant scheint mir der Wortgebrauch Stalins, da es innerhalb des Systems des Dialektiaschen-Materialismus die Seele bestenfalls als illusionäres Überbauphänomen angesehen werden kann. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Stalin den Begriff „Seele“ benutzt hat – man müsste das russische Wort und dessen Konnotationen kennen.

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