Nº 324 (2022) – Still

Silbenzählerei zum Tag.

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Wäre ich heute zuhause gewesen, wäre ich auf einen der vielen Friedhöfe der Stadt gegangen. Wie schon in so vielen Jahren. Aber.

Auf dem Friedhof hier im Dorf gibt es kein verwaistes Grab – jedenfalls fand ich keines. Und die Gräber, um die ich mich hier kümmern würde, die sind schon weg. Seit vielen Jahren weg. Nach 20 Jahren Liegezeit abgelaufen, wie es heißt.

 

 

Im November ist ja Hochbetrieb
zwischen all den vielen Gräbern.
Und dann leuchten in der Dämmerung
kleine elektrische Flämmchen.
Das Tannengrün deckt weithin das ab,
was der Toten Ruhestätten
ein wenig Lebendigkeit verleiht:
Blumen und Gräser. Und manchmal
sind auch Schotter und Steine und Kies
im Winter darunter versteckt.

Nur im November noch denkt der Mensch
so deutlich sichtbar an jene,
die – von außen betrachtet – schon längst
in der Bedeutungslosigkeit
der Geschwister von Urgroßeltern
gänzlich verschwunden sein sollten.
Allein: Das Herz hät sich sicher nicht
an solche herzlosen Pläne …

Ein Silbenzählgedicht –
ohne auf Jambus oder Trochäus zu achten.

 

 

Es ist meine eigne Traurigkeit, die sich immer wieder am Totensonntag Bahn bricht und geäußert sein will. Andere Menschen tun Ähnliches bereits zu Aller­heili­gen, ich seit Jahren immer erst am letzen Sonntag des (evangelischen) Kirchenjahres, am Sonntag vorm 1. Advent.

 

Ich schleiche mich davon und sage Danke fürs Lesen.

Der Emil

 

P.S.: Gut fand ich am 20.11.2022 den Mohnzopf zum Frühstück, drei Ideen für Türchen meines Adventskalenders, einen späten Mittagsschlaf.
 
Für morgen zog ich die Tageskarte Fünf der Münzen.

© 2022 – Der Emil. Text & Bilder unter der Creative Commons 4.0 Unported Lizenz
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Über Der Emil

Not normal. Interested in nearly everything. Wearing black. Listening. Looking. Reading. Writing. Clochard / life artist / Lebenskünstler.
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8 Antworten zu Nº 324 (2022) – Still

  1. C Stern sagt:

    Ich kann nachvollziehen, dass es traurig anmutet, wenn Gräberpflege nicht mehr stattfindet. Und ich verstehe auch den Wunsch, etwas zu tun.

    Aber viel wichtiger finde ich persönlich gepflegte Beziehungen zu Lebzeiten – Anerkennung, Wertschätzung, Liebe, Zusammensein, Verständnis, Güte, …
    Ich finde es traurig, wenn mein seelenloser Körper menschliche Zuwendung erst nach meinem Tod erhalten würde – da ist es mir persönlich zu spät. Ich selbst möchte einmal auf ein Grab verzichten, ich wünsche mir eine Urnenbestattung in einem Wald. Niemand soll sich um eine Grabstelle für mich kümmern.
    Wenn wir an Menschen denken, dann sind sie da, mitten unter uns! Nicht nur an bestimmten Tagen im November …

    • Der Emil sagt:

      Ich bin da tatsächlich ganz Deiner Meinung. Und dennoch verstehe ich die, die nur im November Trauer zulassen können und sich nur dann um Gräber kümmern können (denn diese Menschen gibt es) …

  2. Gudrun sagt:

    Ich kann heute nicht das „gefällt mir“ drücken, weil ich dir gerne die Traurigkeit nehmen würde und es nicht kann.
    Ich werde übrigens kein Grab haben, wie die von dir beschriebenen. Wer sollte das pflegen? Und warum? Alle sind weit weg. So, wie es einst sein wird, ist es gut.

    • Der Emil sagt:

      Dieses „Gefällt mir“ ist manchmal gar nicht so wichtig.

      Allein, ich mag Dir widersprechen: Würdest Du wirklich ohne Deine Trauer glücklicher, zufriedener, gesunder, ganzer sein? Laß sie mir, denn sie ist und bleibt Teil (wichtiger Teil) meiner Gefühle und meines (Er-)Lebens. Ich danke Dir trotzdem dafür, daß Du sie mit mir teilen oder „wegmachen“ wollen würdest.

  3. Elvira Volckmann sagt:

    Trauer hat so viele Gesichter, so viele Geschichten. Das Grab ist für mich ein wichtiger Bestandteil davon. Als meine Mutter sich für eine anonyme Bestattung entschied, war das für mich schwer auszuhalten. Ein Grab – oder ein Baum -, sogar eine Urne in einer Wand, sind Anlaufpunkte, gestatten Zwiesprache. Gut, ich kann auch mit dem Foto meiner Mutter reden oder in Gedanken bei ihr sein, aber ein Grab, das ich pflegen, an dem ich mich ihr nahe fühlen kann, kann das nicht ersetzen. Ich werde mit meinen Kindern darüber reden und mich dann entscheiden, wie meine letzte Ruhestätte aussehen soll. Trauer ist für mich persönlich an keine Zeit gebunden.

    • Der Emil sagt:

      Für mich ist die Trauer an keinen exakt bestimmten Ort mehr gebunden, nur ein (beliebiger) Friedhof soll es sein …

      Und obwohl die Menschen so unterschiedlich mit ihrer Trauer umgehen, finden sich viele von ihnen (die meisten davon jeder für sich allein) grad im November auf dem „Gottesacker” ein. Tradiertes Verhalten, ich weiß.

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