In leicht gereizter Stimmung heruntergeschrieben von der Seele.
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Oh nein, es geht heute nicht um die Errichtung des Antifaschistischen Schutzwalls und seine Folgen, nein. Oder vielleicht doch? Jedenfalls seht ihr mir, während ihr hier lest, mal wieder beim Denken zu:
Wie ich so dasaß und las und nebebei kritzelte in meiner Kladde, dachte ich – beim Schreiben über ein recht einfaches Wort stolpernd – plötzlich über unsere, über meine Sprache nach. Und über die Entwicklung, die sie in den vergangenen 30 Jahren durchgemacht hat, der sie in den vergangenen 30 Jahren von vielen Seiten unterworfen wurde.
Ich habe nämlich den Eindruck, daß sie mehrdeutiger, schwammiger, unfestgelegter, euphemistischer wurde und wird. Das liegt m. E. sowohl am Zuhörer und Leser als auch am Sprecher und Schreiber. Zum einen werden sehr viele Formulierungen in sehr vielen Bereichen immer vorsichtiger und unpräziser gemacht, damit niemand einen auf eine Aussage festnageln kann. Zu anderen werden Aussagen immer häufiger in einer Art und Weise gedeutet und wahrgenommen – also (fehl-)interpretiert –, die am besten und am einfachsten in die Erwartungen, Wünsche und Wahnvorstellungen der Rezipierenden passen. Und das fällt mir persönlich in der (Welt-)Diplomatie, in der Wirtschaft, in den Nachrichten, in vielen amtlichen Schreiben, in Gesetzen, in Unterhaltungen, in Streitgesprächen, ja teilweise sogar in der Wissenschaft auf. Wobei ich die Betriebs-, Finanz- und Volkswirtschaftslehre nicht zu den Wissenschaften zähle, wie ich gestehen muß, denn dort geht die Euphemisierung der Sprache noch viel weiter als sonst anderswo.
Selbstverständlich weiß ich, daß erst Zwei- und Mehrdeutigkeit in der Sprache es möglich machen, Kunstwerke daraus zu formen. Wo kämen wir denn hin, wenn unsere Sprache nicht mehr zum Gebrauch der Phantasie im besten Sinne aufforderte? Wenn jeder Satz so trocken bliebe wie das Papier, auf dem er gedruckt wurde? Die Menschen würden wohl sehr schnell abstumpfen (ein Teil der Menschen) oder aber nach Ausdrucksformen suchen, die diese trockene Nüchternheit überwinden können (ein anderer Teil der Menschen). Und ganz schnell gäbe es sie wieder: die Möglichkeit in mir drin, aus einem einzelnen Satz, gar aus einem einzigen Wort ganze Welten zu erschaffen.
Dennoch. Ich vermisse heutzutage viel zu oft das, was ich aus meiner Jugend noch kenne, was viele aus täglichem Umgang miteinander, aus Büchern und Briefen und seriösen (NICHT reißerischen) Nachrichten noch kennen: Das ehrliche Wort, die einfache Sprache (z. B. ohne die ganzen Windungen und Verrenkungen von Gegendere anderen „Sprachnotwendigkeiten” der heutigen Zeit), eine Grundanständigkeit. Der Sprache heute fehlt nach meinem Empfinden die Ehrlichkeit, Geradlinigkeit, den Aussagen sehr oft ihre Bestimmtheit und Grundsätzlichkeit. Auch im zwischenmenschlichen Bereich, und ja, auch in Beziehungen.
Die Sprache, die von außen auf mich einwirkt(e), hat auch meine Sprache im Inneren schon verändert: Ich merke es daran, daß ich heute viel öfter als früher an der Zusammenschreibung von Komposita zweifle, also von zusammengesetzten Wörtern … Ein Beispiel? Ich schreibe noch immer „fahrradfahren”, wenn die Fortbewegung aktiv auf und mit einem Fahrrad erfolgt, und ich schreibe „Fahrrad fahren”, wenn das Fahrrad mithilfe eine anderen Fahrzeuges bewegt wird. Merkt ihrs, da gehen Bedeutungsunterschiede verloren, da wurde und wird Sprache mehrdeutiger gemacht und schwammiger!
Ich denke, ich hatte eine für mein Sprachgefühl sehr wichtige Lernphase in meinem Leben: Ich konnte und mußte schon sehr früh unterscheiden zwischen Sprache und Offizieller Verlautbarung … (Und jetzt laß ich die Gedanken genau so stehen, wie ich sie notiert habe, ich sortiere und ändere nichts daran.)
Ich schleiche mich davon und sage Danke fürs Lesen.
P.S.: Gut fand ich am 13.08.2022 ein neues Schreibexperiment (ohne vorzeigbares Ergebnis, aber nicht ergebnislos), die Temperaturen (unter 25 °C), die Zufriedenheit über eine gestern gemachte Freude.
Für morgen zog ich die Tageskarte 0 – Der Narr.
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Was mich heute stört, sind die, meines Erachtens durch die Web Messenger geförderten und geforderten, Verkürzungen. Ich meine hier nicht das Ersetzen von Worten durch Emojis – das wäre das Ende zwischenmenschlicher Kommunikation -, sondern in Nachrichten wie WhatsApp u.a. die sehr kurzgefassten Mitteilungen. Mitteilungen, die oft missverstanden werden können, da sie ohne Punkt und Komma, häufig auch ohne Groß- und Kleinschreibung verfasst werden. Ich lese das sehr oft in unserer Kollegengruppe.
Was du meinst, diese schwammige Ausdrucksweise, das Aufweichen von klaren Aussagen, dieses Hin und Her zwischen dem, was man sagen will und den Hindernissen der allgegenwärtigen politischen Korrektheit, das beobachte ich auch. Wenn ich heute, meistens online, Nachrichten lese, frage ich mich, ob das Korrekturlesen nur noch der künstlichen Intelligenz überlassen wird. So viele Rechtschreib- und Satzaufbaufehler, so viele neue Formulierungen, die langsam aber sicher in den allgemeinen Sprachgebrauch übergehen. Prominentes Beispiel: „Das macht Sinn“. So ein Unsinn!
Das Totschlagargument ist bei entsprechender Kritik, dass Sprache lebt und sich wandeln muss und darf. Und das stimmt ja auch irgendwie. Dennoch…
„Zeitnahe Lösung.“ Die ist nicht schnell.
„Evaluation danach.“ Warum nicht eine (Über-)Prüfung und warum nicht begleitend?
Ach, und dann die ganzen Abkürzungen, die als Wort gesprochen werden, die Menschen außerhalb einer ganz bestimmten Gruppe gar nicht kennen können …
Danke, dass du uns diesen deinen Gedanken lauschen lässt. Ohne Reflexion unserer Werkzeuge (hier Sprache und Kommunikation) und ihrer Sinnhaftigkeit kann keine kulturelle Entwicklung geschehen, Entwicklung ist immer Veränderung – in welche Richtung auch immer. Dazu auch immer loslassen von Gewohntem. Das, was stattdessen kommt, ist selten auf Anhieb passend, muss sich erst den neuen Gegebenheiten anpassen und sobald es passt, wird es wieder überholt … Das ewige Lebensrad.
Ich glaube, je älter ich werde und je mehr Veränderungen ich schon im privaten oder gesellschaftlichen Unterwegssein erlebt habe, desto müder macht es mich. Zumal sich manches in neuen Farben wiederholt.
Als junge Frau war ich auf jeden Fall neugieriger auf Neues als heute. Da waren meine Filter vielleicht noch nicht so ausgeleiert wie heute?
Hoffentlich findest du in der Sprache immer genug Inspirierendes, das deine Phantasie füttert und belebt.
Vielleicht ist es ja schon Altersstarrsinn, daß ich so gegen die Verschwammigung der Sprache bin und wettere?
Ich weiß nicht, ob ich heute weniger neugierig bin. Aber wenn etwas Gutes, das noch dazu sich bewährt hat, durch etwas Halbausgegorenes, das einfach so, wie es ist, nicht funktionieren kann, wie es soll, ersetzt wird ohne Notwendigkeit, dann rollen sich mir die Fußnägel auf …
Ganz sicher zeigt die korrekte Benutzung von Fremdwörtern ein gewisses Niveau an Bildung (m.M.n.); aber wer nur das Wort und nicht seine korrekte Nutzung beherrscht, macht sich in meinen Augen mindestens unglaubwürdig oder gar lächerlich. Siehe Beispiel „Quantensprung“, der in der physikalischen Realität eine zwar wichtige, aber nur winzige Veränderung bedeutet und in der Alltagssprache von Politik und Wirtschaft (gut: im übertragenen Sinne) völlig wahllos verwendet wird …