#Adventskalender 2020 – 356: Das 21. Türchen

Eines von Andersens Märchen.

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Meinen 11. Adventskalender hier widme ich allen, die kämpfen, allen, die krank sind, allen, die Unterstützung benötigen. Ich wünsche allen Menschen (und mir) eine im wahrsten Sinne des Wortes wunder­volle Weihnachtszeit. Meine Kerzen brennen für Menschen, die Hoffnung brauchen.

 

(Wer das Märchen kennt, kann ja gleich nach unten scrollen.)

 

 
Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern

Hans Christian Andersen ( ∗1805 –1875 )
 

Es war entsetzlich kalt; es schneite, und der Abend dunkelte bereits; es war der letzte Abend im Jahre, Silversterabend. In dieser Kälte und in dieser Finsternis ging auf der Straße ein kleines armes Mädchen mit bloßen Kopfe und nackten Füßen. Es hatte wohl freilich Pantoffel angehabt, als es von Hause fortging, aber was konnte das helfen! Es waren sehr große Pantoffeln, sie waren früher von seiner Mutter gebraucht worden, so groß waren sie, und diese hatte die Kleine verloren, als sie über die Straße eilte, während zwei Wagen in rasender Eile vorüberjagten; der eine Pantoffel war nicht wiederaufzufinden und mit dem anderen machte sich ein Knabe aus dem Staube, welcher versprach, ihn als Wiege zu benutzen, wenn er einmal Kinder bekäme.

Da ging nun das kleine Mädchen auf den nackten zierlichen Füßchen, die vor Kälte ganz rot und blau waren. In ihrer alten Schürze trug sie eine Menge Schwefelhölzer und ein Bund hielt sie in der Hand. Während des ganzen Tages hatte ihr niemand etwas abgekauft, niemand ein Almosen gereicht. Hungrig und frostig schleppte sich die arme Kleine weiter und sah schon ganz verzagt und eingeschüchtert aus. Die Schneeflocken fielen auf ihr langes blondes Haar, das schön gelockt über ihren Nacken hinabfloß, aber bei diesem Schmucke weilten ihre Gedanken wahrlich nicht. Aus allen Fenstern strahlte heller Lichterglanz und über alle Straßen verbreitete sich der Geruch von köstlichem Gänsebraten. Es war ja Silvesterabend, und dieser Gedanke erfüllte alle Sinne des kleinen Mädchens.

In einem Winkel zwischen zwei Häusern, von denen das eine etwas weiter in die Straße vorsprang als das andere, kauerte es sich nieder. Seine kleinen Beinchen hatte es unter sich gezogen, aber es fror nur noch mehr und wagte es trotzdem nicht, nach Hause zu gehen, da es noch kein Schächtelchen mit Streichhölzern verkauft, noch keinen Heller erhalten hatte. Es hätte gewiß vom Vater Schläge bekommen, und kalt war es zu Hause ja auch; sie hatten das bloße Dach gerade über sich, und der Wind pfiff schneidend hinein, obgleich Stroh und Lumpen in die größten Ritzen gestopft waren. Ach, wie gut mußte ein Schwefelhölzchen tun! Wenn es nur wagen dürfte, eins aus dem Schächtelchen herauszunehmen, es gegen die Wand zu streichen und die Finger daran zu wärmen! Endlich zog das Kind eins heraus. Ritsch! wie sprühte es, wie brannte es. Das Schwefelholz strahlte eine warme helle Flamme aus, wie ein kleines Licht, als es das Händchen um dasselbe hielt. Es war ein merkwürdiges Licht; es kam dem kleinen Mädchen vor, als säße es vor einem großen eisernen Ofen mit Messingbeschlägen und Messingverzierungen; das Feuer brannte so schön und wärmte so wohltuend! Die Kleine streckte schon die Füße aus, um auch diese zu wärmen – da erlosch die Flamme. Der Ofen verschwand – sie saß mit einem Stümpchen des ausgebrannten Schwefelholzes in der Hand da.

Ein neues wurde angestrichen, es brannte, es leuchtete, und an der Stelle der Mauer, auf welche der Schein fiel, wurde sie durchsichtig wie ein Flor. Die Kleine sah gerade in die Stube hinein, wo der Tisch mit einem blendend weißen Tischtuch und feinem Porzellan gedeckt stand, und köstlich dampfte die mit Pflaumen und Äpfeln gefüllte, gebratene Gans darauf. Und was noch herrlicher war, die Gans sprang aus der Schüssel und watschelte mit Gabel und Messer im Rücken über den Fußboden hin; gerade die Richtung auf das arme Mädchen schlug sie ein. Da erlosch das Schwefelholz, und nur die dicke kalte Mauer war zu sehen.

Sie zündete ein neues an. Da saß die Kleine unter dem herrlichsten Weihnachtsbaum; er war noch größer und weit reicher ausgeputzt als der, den sie am Heiligabend bei dem reichen Kaufmann durch die Glastür gesehen hatte. Tausende von Lichtern brannten auf den grünen Zweigen, und bunte Bilder, wie die, welche in den Ladenfenstern ausgestellt werden, schauten auf sie hernieder, die Kleine streckte beide Hände nach ihnen in die Höhe – da erlosch das Schwefelholz. Die vielen Weihnachtslichter stiegen höher und höher, und sie sah jetzt erst, daß es die hellen Sterne waren. Einer von ihnen fiel herab und zog einen langen Feuerstreifen über den Himmel.

»Jetzt stirbt jemand!« sagte die Kleine, denn die alte Großmutter, die sie allein freundlich behandelt hatte, jetzt aber längst tot war, hatte gesagt: »Wenn ein Stern fällt, steigt eine Seele zu Gott empor!«

Sie strich wieder ein Schwefelholz gegen die Mauer; es warf einen weiten Lichtschein ringsumher, und im Glanze desselben stand die alte Großmutter hell beleuchtet mild und freundlich da.

»Großmutter!« rief die Kleine, »oh, nimm mich mit dir! Ich weiß, daß du verschwindest, sobald das Schwefelholz ausgeht, verschwindest, wie der warme Kachelofen, der köstliche Gänsebraten und der große flimmernde Weihnachtsbaum!« Schnell strich sie den ganzen Rest der Schwefelhölzer an, die sich noch im Schächtelchen befanden, sie wollte die Großmutter festhalten; und die Schwefelhölzer verbreiteten einen solchen Glanz, daß es heller war als am lichten Tag. So schön, so groß war die Großmutter nie gewesen; sie nahm das kleine Mädchen auf ihren Arm, und hoch schwebten sie empor in Glanz und Freude; Kälte, Hunger und Angst wichen von ihm – sie war bei Gott.

Aber im Winkel am Hause saß in der kalten Morgenstunde das kleine Mädchen mit roten Wangen, mit Lächeln um den Mund – tot, erfroren am letzten Tage des alten Jahres. Der Morgen des neuen Jahres ging über der kleinen Leiche auf, die mit den Schwefelhölzern, wovon fast ein Schächtelchen verbrannt war, dasaß. »Sie hat sich wärmen wollen!« sagte man. Niemand wußte, was sie schönes gesehen hatte, in welchem Glanze sie mit der alten Großmutter zur Neujahrsfreude eingegangen war.

Hans Christian Andersens Märchen sind mittlerweile gemeinfrei.

 

 

Einfach so. Ein Märchen, das nicht wirklich ein märchenhaftes, gutes Ende hat. Wenn ich mich recht erinnere, sollen sogar viele Märchen solche Enden gehabt haben. Irgendwann wurde das geändert, und ich frage mich warum. Es scheint ja eine »Pflicht« zum happy end zu geben, seit so viele Bereiche des Lebens amerikanisiert wurden. (Vor allem: Das geschah und geschieht ja freiwillig. Dahingegen kam die Russifizierung in der DDR nicht so recht voran.) Und dieses Märchen: Ist es nicht traurig, von diesem Mädchen und dessen Not zu lesen?

Doch, heutzutage gibt es solche Not, solches Elend noch immer. Ihr alle wißt, wo das so ist: auf Lesbos, in Syrien, in Afghanistan, in Afrika und Südamerika, in den USA und mittlerweile auch in Großbritannien. Und vergeßt nicht, sogar hierzulande gibt es das noch, echte Kinderarmut und sogar obdachlose Kinder. Nur sind sie für viele Menschen einfach unsichtbar, weil sie sich so unauffällig als möglich benehmen.

Meine Bitte: Seht hin, nicht nur in der Advents- und Weihnachtszeit. Helfen ist das ganze Jahr über möglich (und leider auch notwendig). Ich habe getan, was ich tun konnte, ein wenig Geld gespendet, und ein wenig Weihnachtsschokolade bringe ich heute noch zur Bahnhofsmission. Und vergeßt heute Abend zwischen 17 Uhr und 18 Uhr rechts etwas unterhalb vom Mond nach Jupiter und Saturn zu sehen!

 

Ich schleiche mich davon und wünsche eine schöne Adventszeit.

Der Emil

 

 
Wer eine Gelegenheit sucht, zur Weihnachtszeit anderen zu helfen, der kann das im Dezember täglich ab 21 Uhr des Vorabends bei der Versteigerung von #hand2hand20 tun. Die Aktion ist eine gute Idee von Meg, ihr und allen Mitwirkenden danke ich dafür.

 

P.S.: P.S.: Positiv waren am 20.12.2020 Stollen zum Kaffee, ein Telefonat mit meiner Mutter, den ganzen Tag Weihnachtsmusik.
 
Die Tageskarte für heute ist die Königin der Kelche.


Über Der Emil

Not normal. Interested in nearly everything. Wearing black. Listening. Looking. Reading. Writing. Clochard / life artist / Lebenskünstler.
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20 Antworten zu #Adventskalender 2020 – 356: Das 21. Türchen

  1. quersatzein sagt:

    So traurig und so real: danke.
    (Ich sah am Samstag auf Arte den erhellenden Film über Hans Christian Andersen: sehr sehenswert!)
    Lieben Gruss,
    Brigitte

    • Der Emil sagt:

      Den Film hab ich verpaßt. Die Schwefelhölzchen hab ich im November schon eingeplant.

      Und ich hatte nochmal Gelegenheit, über die Märchenenden nachzudenken …

  2. Elvira sagt:

    Es ist mir auch heute, nach so vielen Jahrzehnten, nicht möglich, dieses Märchen vorzulesen. Am Ende bricht meine Stimme. Immer!

  3. wildgans sagt:

    Du bist so sehr Emil, du bist so „wahrhaftig“- ich schätze das und dich sehr, obwohl ich dir persönlich noch nie die Hand gegeben habe. Weiter so bitte, große Bitte!
    Montagsgruß von Sonja

  4. Gudrun sagt:

    Ja, es ist traurig. Ich habe das Märchen als Kind gehört und war danach nur schwer zu trösten. Später hatte ich allen Ernstes die Hoffnung dass das ein Märchen aus einer anderen Welt ist und bleibt. Und jetzt sehe ich es wie du: Es passiert immer noch. Und am meisten leiden die Kinder.
    Emil, du bist ein lieber, mitfühlender und engagierter Mensch. Dafür möchte ich dir danken.

  5. frauholle52 sagt:

    Oh, ich gehe gleich mal raus! Als ich ein Kind war, hat mir dieses Märchen übrigens die Angst davor genommen, mich mit dem Tod auseinanderzusetzen! Liebe Grüße! Regine

  6. Nach der Aufklärung, was es mit „jede Kerze mit einem neuen Streichholz“ auf sich hat, und was das mit Seemännern zu tun hat, musste dieses Märchen von Andersen wirklich sein. Danke! – Enden nicht auch die Märchen mit Happy-End mit dem Satz „Und wenn sie nicht gestorben sind, …“? Ich habe schon als Kind oft gedacht, dass – außer dass sie hätten sterben können – auch noch anderes Trauriges möglich gewesen wäre.

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