Nº 320 (2019): Unordnungen

Nein nein, es geht hier nicht um mich.

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Dieses Leben als Schriftsteller … Falsche Bezeichnung. Geschich­ten­ausdenker und -aufschreiber. Wenn er nur ein passendes System an Stichworten hätte und oder Farben, nach denen er das Aufgeschrie­bene sortieren könnte, wäre ihm geholfen und seine Arbeit wäre sehr viel leichter. Er wäre viel weniger unsicher in der Frage, was er wo notieren und so auch sammeln müßte, hätte es leichter mit dem Einordnen seiner Schreiberei. Das eben bereitet ihm Schwierigkeiten: Was ist was, aus welchen Zetteln und Einträgen in den Heften kann dies oder jenes werden, was hängt zusammen, was gehört nicht dazu? Bisher ist noch jeder Ordnungsversuch irgendwann wieder durcheinan­dergeraten.

Und im Kopf. Da kann er nichts sortieren. Da sind immer, immer Gedanken, die aufgeschrieben werden wollen. Er kann nur die von den anderen unterscheiden. Es gelingt ihm nicht, im Kopf noch weiter zu unterscheiden. Schnell wird das Denken zu voll, dann will zuviel auf einmal aufgeschrieben werden, dann verstopfen die Kanäle, dann schwillt der Berg im Denken weiter an und er kann nichts aufschreiben. Die schöne Klarheit seiner Ideen verwischt. Das Verwaschene vermischt sich zu Unerzählbarem. Unerzählbare Gedanken kann er nicht aufschreiben, nein, wozu sollte er das auch tun.

Ach, und dann die unsäglichen Versuche anderer Menschen, an seinen Geschichten herumzukritteln. Sie umgeschrieben haben zu wollen. Dieses Verlangen anderer Menschen, daß er seine Geschichten an sie, an ihr Erleben anpassen möge. Dann sind es nicht mehr seine in einer Geschichte festgeschriebenen Gedanken. Dann sind es … Nein, das will er nicht. Wie gut es dann doch wäre, könnten auch die Leser aus einer Ordnung auswählen, in der er seine Notizen untergebracht hat. Da, dort sind die lustigen Anekdoten, hier die melancholischen Sätze, da die Kalendersprüche. Was, etwas von Patienten wollen sie lesen? Hier, bittesehr, dazu habe ich das schon aufgeschrieben.

Doch das schaffte er bisher eben nie. Alles blieb meist uneingeordnet, diffus zwischen verschiedenen Ideen von Gruppierungen herum­hän­gend. Und das, das auch im Kopf, denn seine Gedanken wechseln manchmal, nein, häufig, ständig von der Kategorie Aufschreibbar in die Kategorie Nichterzählbar und umgekehrt. Diese Unordnung, die es im Kopf gibt, und die Unordnung, die aus der unsystematischen Aufschreiberei entsteht, beide Unordnungen möchte er wirklich gern loswerden. Denn beide machen ihn krank. Das geht von körperlichem Fehlempfinden bis zu Müdigkeit und Leeregefühl. Leeregefühl immer dann, wenn der Kopf zu voll und vor allem unsortiert zu voll ist …

 

 

Was mir beim Lesen von Strittmatters “Wundertäter” so aus der Feder fließt. Ich bin fasziniert von den Büchern, wirklich, und nehme mir tatsächlich mehr Zeit für sie, als ich sonst für ein Buch verwende. Wie so oft ist der Text übrigens nicht autobiografisch.

 

Ich schleiche mich davon und sage Danke für’s Lesen.

Der Emil

P.S.: Am 16.11.2019 waren positiv ein Stapel aussortiertes Papier, der Rest vom Eintopf, ein frischbezogenes Bett.
 
Die Tageskarte für morgen ist die Königin der Stäbe.

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Über Der Emil

Not normal. Interested in nearly everything. Wearing black. Listening. Looking. Reading. Writing. Clochard / life artist / Lebenskünstler.
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2 Antworten zu Nº 320 (2019): Unordnungen

  1. Karsten Seel sagt:

    Darauf habe ich schon ein wenig gewartet, deine Reaktion auf den Wundertäter.
    Das war mein ganz persönlicher Zugang zum Strittmatter in den 80ern. Hat sich meine Einstellung zur Person inzwischen verändert, seine Bücher liebe ich weiterhin …

    • Der Emil sagt:

      Nun, der Strittmatter war und bleibt ein Mensch, der nirgends anders als in der DDR so bleiben und werden konnte. Und der Wundertäter fehlte mir noch (und der Ochsenkutscher tut es noch immer). Morgen oder übermorgen werde ich dann wohl Bd. 3 beginnen …

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