Szene im Grauen

Abends am Fluß

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Kaum die Hand vor Augen sehe ich, als ich am dämmernden Spätnachmittag am Fluß entlanggehe. Die Straßenlaternen machen es bei diesem dichten Nebel auch nicht besser. Gut, an ihnen kann ich die grobe Richtung des Weges erahnen; sie stehen als helle Verklumpungen in den dunkelgrauen Schwaden, deren Bewegungen meinen Verstand narren. Wenn eine Verquirlung mir etwas vorgaukelt oder ein leichter Hauch ganze Schleppen und Vorhänge aus den winzigen Tröpfchen quer über meinen Weg huschen läßt, verkrieche ich mich tiefer im hochgeschlagen Kragen meines Mantels. Ich ahne und gestehe, daß ich mir bei diesen Licht- und Sichtverhältnissen hier und jetzt lieber nicht begegnen möchte.

Hitchcockesque Stimmung: Der “Nebel des Grauens”, und ich mitten darin.

Selbst die Schiffe, die bei diesem Wetter auf dem Fluß fahren, sind trotz ihrer starken Positionslichter nicht zu sehen. Ihre Hornsignale klingen dumpf wie das altersschwache Seufzen eines Esels, der dem Sterben näher ist als dem Leben. Und das Klatschen der von den Schiffen ausgehenden Wellen am Ufer ist nicht anderes als der Ton, den eine Boulette genau dann erzeugt, wenn sie in einen viel zu kalten Kartoffelbrei fällt. Ein rhythmisches Schwffft-Schwffft-Schwffft-Schwffft-Schwffft-Schwffft-Schwffft nehme ich erst wahr, als neben mir unerwartet eine Verdickung durch den Nebel huscht: Ein Jogger ist da wohl auf der anderen Seite des Weges an mir vorbeigelaufen.

Aus dem Dunkelgrau ist in den letzten zehn Minuten ein Schwarzgrau geworden. Der Abend wurde endgültig zur Nacht. Die altmodische Taschenuhr zeigt im Dunstkreis einer der Straßenlaternen gerade noch erkennbar 17.55 Uhr. Gefühlt aber ist die Geisterstunde schon längst angebrochen. Während ich dastehe und mir eine Zigarrette anzünde (die Streichhölzer wollen in diesem feuchten Nebel kaum aufflammen), lausche ich mittlerweile ängstlich in das Grauen, das hinter der Grenze des schwachen Lichtkegels liegt. Weit habe ich es nicht mehr bis zur Brücke, die sich in der Nähe meiner Wohnung über den Fluß spannt. Nervös ziehe ich im Weitergehen am Glimmstengel, als wiese mir die aufleuchtende Glut an seiner Spitze zuverlässig meinen Weg.

Ich ahne bereits die Konturen der Brückenkonstruktion, als ich von hinten einen Schlag in die Knie bekomme und einen Stoß in den Rücken. Die Luft wird aus meinen Lungen gepreßt und unvorbereitet falle ich nach vorn. Ich schlage mit dem Kopf gegen etwas Hartes. Das Scheppern der Fahrradklingel, die nach dem Unfall und dem Sturz übern Weg rollt, höre ich nicht mehr …

 

 

Ein Novembertext?

 

Der Emil

Der Verfasser des Blogs schleicht davon und dankt für’s Lesen.

P.S.: Positiv am 19. November 2014 war ein Wiedersehen mit einer lieben Bekannten in Magdedorf, war die Erfahrung, daß ich es doch kann: in Teilen schreiben, nicht am Stück, sondern nach mehreren Stunden Unterbrechung eine zweite Episode eines größeren Dings verfassen zu können. Jippieh!.
 
Tageskarte 2014-11-20: Die Sechs der Schwerter.

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Über Der Emil

Not normal. Interested in nearly everything. Wearing black. Listening. Looking. Reading. Writing. Clochard / life artist / Lebenskünstler.
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0 Antworten zu Szene im Grauen

  1. Sofasophia sagt:

    … oooh, und dann? Wowiewas? Du bist mir ja ein an die Cliffhanger- Hänger! 😉

    Freut mich, dass das Weiterschreiben geklappt hat nach der Pause!

  2. irgendlink sagt:

    Da läufts einem kalt den Rücken runter. Hoffentlich gute Horrofiktion und Dir nicht tatsächlich zugestoßen.

  3. Gudrun sagt:

    Hast du wenigstens beim „Jippieh!“ einen ordentlichen Luftsprung gemacht? (Ich stell mir das gerade vor, und der triste Nachmittag ist gerettet.)
    Eine feine Geschichte ist das geworden, spannend und flüssig zu lesen. Ein Vergnügen, lieber Emil.

  4. Bruder Indiana sagt:

    Fuichba….fuichba…..da habe ich den Nebel am Neckar heute ganz anders gesehen. Und warm war mir auch noch bei der Gartenarbeit.

    • Der Emil sagt:

      Ja, am Neckar … Aber der Fluß war/ist ja nicht der Neckar — es könnte auch der Amu Darja, der Jennisej, der Ob, der Don, der Mekong sein.

      • Bruder Indiana sagt:

        Ja, es sind Worte, nur Worte und Fantasie. Und hinter den Worten steht ein Bewusstsein. Die Träumerei im November hinterlässt ihre Spuren.

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