Nº 037 (2022) – Papier

Einen erfundenen Protagonisten Text erfinden lassen.
Über Papier und auf Papier.

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Der Papierkorb – der real existierende, in dem Zettel und ande­res Papier landen – quillt über. Weggeworfene, zumeist alte Anfänge, die ich vorher noch abfotografiert habe. Auch im Aktenver­nichter ist kaum noch Platz. Ich leere beide jetzt in den Müllsack, den ich hinausbringen muß zum Alpapier. Viel lieber wäre mir, ich könnte das Papier in einem Küchen- oder Kachel- oder Dauer­brand­ofen in Flammen aufgehenlassen. So würden die Worte, meine Worte mich nocheinmal wärmen. Da das nicht geht, werde ich beim Abtippen all der Texte (so ich das wirklich irgendwann einmal schaffen werde) vielleicht gerührt sein, zumindest aber mit irgendeinem Gefühl zu lesen und zu verstehen versuchen. Was schwer werden wird. Also das Verstehen. Mich selbst zu verstehen, mein Ich der Vergangenheiten.

Was neu ist, ist diese blaue Sammelmappe aus Karton, die mit den zwei Gummibändern über die offenen Ecken. Die Notizen, die ich nicht in den Heften mache, landen noch immer in einem kleinen dreietagigen Regalwägelchen mit drei DIN A4-großen grauen Plastekörbchen. Seit heute aber, seit heute liegt diese Mappe obenauf. In der verschwinden die Texte, an denen ich sofort zweifle. Die ich aber nicht sofort verwerfen kann. Zumindest eben die, die nicht im Heft entstehen. Mir ist schleierhaft, warum ich nicht wie jeder normale Schriftsteller alles im Heft schreiben kann, oder in mehreren Heften. Warum nur kritzele ich immer wieder auf Zetteln herum? Gut, irgend­wie müssen ja auch all die Blöcke verwendet werden, die ich zum Teil schon vor dreißig Jahren kaufte. Als Schreibpapier für alle Tage waren sie gedacht. Wurden aber schnell von diversen anderen Papieren ersetzt: einseitig bedrucktes Papier aus dem Drucker zum Beispiel, von dem sich noch immer eine ganze Menge hier irgendwo eine ganze Menge im Schrank befindet. Auch das habe ich jetzt in den Alpapiersack geworfen. Ich habe keine Verwendung mehr dafür beziehungsweise möchte es nicht mehr verwenden. Es gibt genug anderes Papier, mehr als genügend Hefte für mehr als ein Jahr. Da sind nagelneue Notizbücher, die mir bisher immer zu dick waren. Da sind etwa drei Dutzend Blöcke. Wenn ich nachher die letzten drei Seiten des Blockes auf dem Schreibtisch verwendet habe, geht es auf einem der alten Blöcke weiter. Und das aktuelle Heft ist gerade halbvoll.

Wenn ich mich nur an die Nutzung einer Schreibmaschine gewöhnt hätte oder jetzt den Computer nutzen könnte, um zu schreiben. Es bräuchte viel weniger Papier. Aber das würde mir das Schreiben entfremden. So setze ich mich vor mein Heft und versuche, etwas zu erzählen:

Zur Nacht hin, mit Beginn der Abenddämmerung wurde es wieder kalt. Der viereckige Weidenkorb, mit dem er Feuerholz vom Dachboden holt, war leer. Nur unten auf dessen Boden lag eine uralte Zeitungsseite, die seit Jahren dort lag. Neugierig nahm er sie aus dem Korb, strich sie auf dem Küchentisch glatt. 1963. Moment. 1963? Fünfundvierzig Jahre alt?
— Ich halte inne. Damals war ich noch lange nicht geboren. Kann ich über etwas schreiben, das ich nicht selbst … Meine Güte, das meiste von dem, was ich schreibe, habe ich nicht selbst erlebt! —
Oh. Nun, mit der alten Zeitungsseite wollte er sich später beschäftigen. Er legte die Doppelseite auf den großen Stapel Papier, mit dem er sich später beschäftigen würde. (Obwohl: Er glaubte schon lang nicht mehr daran, daß er es je tun könnte.) Wenn er in der Nacht nicht frieren wollte, brauchte er Holz. Er nahm den Holzkorb, faßte einen der beiden an die schmalen Seiten des Korbes angeflochtenen Griffe. Es mußte eine neue Zeitungsseite hinein, eine vom Wochenblatt. Dann stieg er langsam hinauf auf den Dachboden. In einer der vier Boden­kammern schichtete er Scheite in den Korb und baute obenauf sogar noch einen Holzhügel. Das reichte seiner Erfahrung nach bis zum nächsten Tag. Vorsichtig ging er mit dem Korb vor dem Bauch wieder nach unten. Schaltete das Licht aus, das den Dachboden beleuchtete. Ging in die Küche zurück. Es galt, ein neues Feuer zu entfachen.

 

 

Ich schleiche mich davon und sage Danke fürs Lesen.

Der Emil

 

P.S.: Gut fand ich am 06.02.2022 die Gnocchi mit brauner Zwiebel und Käse, die Lebkuchen am Nachmittag, die Ergebnisse des Versuches zu zeichnen (die werden hier aber nicht gezeigt werden).
 
Für Morgen zog ich die Tageskarte Ritter der Kelche.

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Über Der Emil

Not normal. Interested in nearly everything. Wearing black. Listening. Looking. Reading. Writing. Clochard / life artist / Lebenskünstler.
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