Schreibübung um Mitternacht

In reizarmer Umgebung probiert

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“Schreib den zweiten Band zuende” riet man mir – und ich legte einen Bogen Papiers auf meinen Nachtkasten und Schreibgerät und hatte Schwefelhölzer und eine Kerze bereit für den unwahrscheinlichen Fall, daß mich des Nachts vielleicht Ideen anfielen wie hungrige Bären; und mir bliebe in der tiefsten Nacht keine andere Wahl als genau diese Einfälle zu notiren, sie herauszuschreiben und so für immer festzuhalten, zu bannen auf dieses weiße, noch unschuldige Papier, welchem ich damit seine Jungfräulichkeit raube und es so seinem neuen Zwecke zuführe.

Dabei werde ich hoffen müssen, daß mir die Heftigkeit, mit der die Worte aus mir herausgeschrieben sein wollen, nicht die Feder ruiniert oder mich gar das Papier zerreißen läßt, auf dem die Tinte noch nicht genug Zeit zum Trocknen hatte seit ich die Ideen begann aus mir herausfließen zu lassen, vom Kopf in den Arm, vom Arm in die Hand, von der Hand in das Schreibgerät und aus dem dann als Tinte auf den Bogen, wo jetzt Buchstaben Worte Sätze sich finden, deren Sinn sich mir verschließt, obwohl all das doch aus mir kam, nur weil ich es noch nicht vollständig zu formulieren vermochte.

Und so wechsele ich den beschriebenen Bogen gegen einen neuen, leeren, eine “tabula rasa” sozusagen, nur um die Weißheit zu ruinieren mit meinen Kritzeleien, mit meinen Sätzen, in denen ich mich doch und trotz allem nicht traue zu schreiben, was ich eigentlich schreiben muß, nämlich all meine saturnalischen Träume und verliebten bis verschossenen Hoffnungen, die holde Weiblichkeit betreffend, und meinen Traum vom Leben mit einer Einzigen, einem Kometen gleichsam, ebenso unerreichbar scheinenden: Wo kann ich meine Sehnsucht auf dem Papier verstecken?

(Ein Mitternachtstext, formuliert wie zu Zeiten von Brentano, von Arnim, Günderrode, Kleist oder Hölderlin, leicht schwülstig oder blumig, ohne eine Korrektur am geflossenen Text; so altmodisch ich ihn mir nur vorzustellen vermochte. In lateinischer Schrift hätte ich ihn nicht so weit gedeihen lassen können. Dessen bin ich mir sicher.)
Der Emil

     Gereicht am End‘ ein Reim —
     ach nein,
     ich glaube, ich verzicht
     heut‘ aufs Gedicht.

 

 

Wer aufmerksam hinsieht, bemerkt auch die beiden Korrekturen, die ich in der Übertragung doch gemacht habe: ganz am Anfang und ganz am Ende.

 

Der Emil

Der Verfasser des Blogs schleicht davon und dankt für’s Lesen.

P.S.: Positiv am 25. November 2014 war die begonnene Reparatur von Weihnachtskrempel.
 
Tageskarte 2014-11-26: Die Neun der Stäbe.

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Über Der Emil

Not normal. Interested in nearly everything. Wearing black. Listening. Looking. Reading. Writing. Clochard / life artist / Lebenskünstler.
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0 Antworten zu Schreibübung um Mitternacht

  1. Du kannst das wirklich schreiben?
    Ziehe den Hut!

    • Der Emil sagt:

      ’s ist meine normale Handschrift. DIe lateinische verwende ich eher selten, jedenfalls nicht, wenn ich etwas für mich notiere.

      (Eine zeitlang schrub ich händisch winzige Kapitälchen, 3 oder 4 mm hoch, doch das habe ich irgendwann abgelegt zugunsten einer einzigen Handschrift, die eben jetzt diese Mischung aus Sütterlin und Kurrent ist.)

  2. Sofasophia sagt:

    Beim Lesen gedacht: Ist das Emil oder ist das zitiert und wenn ja von wem?
    Ein/dein früheres Alter Ego aus früherer Zeit.
    Fantastisch im Wortsinn und drüber hinaus. 🙂

    Ich dachte an einen Pilger, der sich aus Gründen bedeckt halten muss, die sich uns entziehen.

  3. Pingback: Frl. Meier, Hr. Panasonic: zum Diktat! | Gedacht | Geschrieben | Erlebt | Gesehen

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