Mein Erstaunen über die Amtskirche und die Medien und einen einzelnen Menschen
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Am Nachmittag warf ich meinen Plan für den heutigen Text über den Haufen. Wieso? Weil ich Die Schrottpresse lese. Und weil ich nach dessen Beitrag zunächst reichlich Stoff zum Lesen hatte:
Das Schreiben [das “Evangelii Gaudium”] ist in einigen Teilen atemberaubend, es lohnt die Lektüre.
War die Kritik an den kapitalistischen Verhältnissen dieser Kirche in der Vergangenheit im allerbesten Fall leise verhalten, so fällt hier Franziskus Kritik aus wie vergleichsweise das kommunistische Manifest. Im Kapitel »Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung« heißt es unter anderem:«53. Ebenso wie das Gebot “du sollst nicht töten” eine deutliche Grenze setzt, um den Wert des menschlichen Lebens zu sichern, müssen wir heute ein “Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen” sagen. Diese Wirtschaft tötet. Es ist unglaublich, dass es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während eine Baisse um zwei Punkte in der Börse Schlagzeilen macht. Das ist Ausschließung. Es ist nicht mehr zu tolerieren, dass Nahrungsmittel weggeworfen werden, während es Menschen gibt, die Hunger leiden. Das ist soziale Ungleichheit. Heute spielt sich alles nach den Kriterien der Konkurrenzfähigkeit und nach dem Gesetz des Stärkeren ab, wo der Mächtigere den Schwächeren zunichte macht.»
Mit vorzüglichem Dank an Die Schrottpresse.
Das ganze Apostolische Schreiben Evangelii Gaudium von der Webseite des Vatikans abrufbar
Jaja, ich, der ich auch immer wieder schreibe, öffentlich kundtue, daß ich mit der Amtskirche, mit Kirche als Institution nichts am Hut habe – ich las gestern ziemlich hastig ein Apostolisches Schreiben. Und weil ich es wichtig finde, was darinnen zu lesen ist, und auch weil ich den (recht selektiven) Umgang der “Mainstream-Medien” damit nicht verstehe, zitiere ich heute hier aus diesem Schreiben, aus einem Lehrschreiben des Ersten Mannes der Römisch-Katholischen Amtskirche.
Papst Franziskus hat ja schon einige für einen Papst recht ungewöhnliche Dinge getan, jedenfalls solche, die viele Päpste vor ihm nicht taten. Da ist das Wohnen nicht im päpstlichen Palast, die Benutzung eines Kleinwagens statt des Papamobils, der Verzicht auf viele der luxuriösen Attribute eines Papstes (vieles ist nachzulesen im Wikipedia-Artikel zu Papst Franziskus) usw. usf. Und sein “Evangelii Gaudium” hat er schon im März 2013 verfaßt und herausgegeben. Der ökumenische Aspekt dieses Schreibens wurde im deutschsprachigen Raum in den Medien gew¨rdigt, zur sozialen Seite blieb mir nichts in der Erinnerung.
Dabei ist es doch aktuell, mit Bezug zur Finanz- und Wirtschaftskrise. Eben kein Schreiben, das das alte Wort “Gebt Gott, was Gottes, und gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist!” erneuert, nicht wie in den vielen Jahrhunderten Kirchlicher Herrschaft zuvor. Vielleicht hat Franziskus damit den Finger zu deutlich in die eine oder andere Wunde gelegt? Ist seine Botschaft etwa vollkommen unsinnig? Nur “Opium für das Volk”? Nein, gerade das ist dieses Schreiben in vielen Teilen eben nicht. Und genau deshalb bitte ich euch, auch diese beiden Punkte noch zu lesen (und weil ihr vielleicht mit Gott und Glauben und Kirche nichts zu tun haben wollt über die Erwähnung Gottes hinwegzulesen?):
Wirtschaft und Verteilung der Einkünfte
202. Die Notwendigkeit, die strukturellen Ursachen der Armut zu beheben, kann nicht warten, nicht nur wegen eines pragmatischen Erfordernisses, Ergebnisse zu erzielen und die Gesellschaft zu ordnen, sondern um sie von einer Krankheit zu heilen, die sie anfällig und unwürdig werden lässt und sie nur in neue Krisen führen kann. Die Hilfsprojekte, die einigen dringlichen Erfordernissen begegnen, sollten nur als provisorische Maßnahmen angesehen werden. Solange die Probleme der Armen nicht von der Wurzel her gelöst werden, indem man auf die absolute Autonomie der Märkte und der Finanzspekulation verzichtet und die strukturellen Ursachen der Ungleichverteilung der Einkünfte in Angriff nimmt, werden sich die Probleme der Welt nicht lösen und kann letztlich überhaupt kein Problem gelöst werden. Die Ungleichverteilung der Einkünfte ist die Wurzel der sozialen Übel.
203. Die Würde jedes Menschen und das Gemeinwohl sind Fragen, die die gesamte Wirtschaftspolitik strukturieren müssten, doch manchmal scheinen sie von außen hinzugefügte Anhänge zu sein, um eine politische Rede zu vervollständigen, ohne Perspektiven oder Programme für eine wirklich ganzheitliche Entwicklung. Wie viele Worte sind diesem System unbequem geworden! Es ist lästig, wenn man von Ethik spricht, es ist lästig, dass man von weltweiter Solidarität spricht, es ist lästig, wenn man von einer Verteilung der Güter spricht, es ist lästig, wenn man davon spricht, die Arbeitsplätze zu verteidigen, es ist lästig, wenn man von der Würde der Schwachen spricht, es ist lästig, wenn man von einem Gott spricht, der einen Einsatz für die Gerechtigkeit fordert. Andere Male geschieht es, dass diese Worte Gegenstand einer opportunistischen Manipulation werden, die sie entehrt. Die bequeme Gleichgültigkeit gegenüber diesen Fragen entleert unser Leben und unsere Worte jeglicher Bedeutung. Die Tätigkeit eines Unternehmers ist eine edle Arbeit, vorausgesetzt, dass er sich von einer umfassenderen Bedeutung des Lebens hinterfragen lässt; das ermöglicht ihm, mit seinem Bemühen, die Güter dieser Welt zu mehren und für alle zugänglicher zu machen, wirklich dem Gemeinwohl zu dienen.
Aus dem Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium
Im März 2013 bereits. Und es sind nur Worte, denen Taten folgen müßten. Aber für den normalen Bürger sind diese Worte doch völlig unwichtig. Es könnte ja sein, daß der beim Lesen zu denken anfängt. Und feststellt, was auch “Die Schrottpresse” und ich bemerkten: Das “Evangelii Gaudium” klingt in manchen Teilen wie “Das Kapital” oder das “Kommunistische Manifest”. Deshalb wohl blieb der sozial- und wirtschaftskritische Aspekt des Textes in den sogenannten “Mainstream-Medien” unerwähnt, wurde weitgehend verschwiegen.
Ich habe mir bewußt heute nur das obenstehende hergenommen aus dem Schreiben, obwohl Papst Franziskus explizit schreibt: «Dies ist kein Dokument über soziale Fragen, und um über jene verschiedenen Themenkreise nachzudenken, verfügen wir mit dem Kompendium der Soziallehre der Kirche über ein sehr geeignetes Instrument, dessen Gebrauch und Studium ich nachdrücklich empfehle. Außerdem besitzen weder der Papst noch die Kirche das Monopol für die Interpretation der sozialen Wirklichkeit oder für einen Vorschlag zur Lösung der gegenwärtigen Probleme.» Nein, ein Monopol hat er nicht, aber eine Meinung, die er vertritt und die auf fruchtbaren Boden fallen kann. Was wird die Welt von diesem einen Mann, von Papst Franziskus noch zu erwarten haben?
Er erinnert mich wieder an den Papst Kiril im Film In den Schuhen des Fischers. Sicher wird auch dieses Jahr einer der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender diesen Film wieder im Programm haben. Zur Weihnachtszeit war der immer irgendwo zu sehen, wenn ich mich recht erinnere.
Und nun lese ich weiter. Nochmal von vorn.
Der Verfasser des Blogs schleicht davon und dankt für’s Lesen.
P.S.: Positiv am 26. November 2013 waren ein langer Mittagsschlaf, ein guter, schwieriger Text zum Lesen, ein Gespräch.
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boah, das ist ja … kommunistisch und revolutionär. und lästig. und unbequem!
grad im klerikalen katholischen kuchen, wo viele reiche männer hocken, wird solche rede sicher nicht geliebt.
ich hoffe, dass der franz es schafft, umsetzungsschritte zu initiieren. nur reden und schreiben taten ja schon viele. doch mit seinem einfluss könnte er etwas erreichen. ob er gebremst wird? verdammt gefährlich, kann ich mir vorstellen.
ich finde es gut, dass aus dieser ecke mal etwas gutes kommt. dank der amtskirchen sind wir ja letzlich da gelandet, wo wir heute sind (ausbeutung der dritten welt mit dem vorwand von missionierung/kolonialisierung).
danke fürs zitieren und hinweisen. hoffentlich lesen das viele und fangen damit an, umzudenken und umzuhandeln!
Franziskus, das ist einer, der seinem Namen alle Ehren macht, wie ich finde, der sich nicht scheut die Ungerechtigkeiten beim Namen zu nennen. Wir hier haben uns schon einmal gefragt, wie lange er wohl überleben wird … auch wenn ich mich weit von Kirche und Papst entfernt habe, so verfolge ich diesen Papst, seine Worte und Taten mit Spannung …
bei all dem was er über Wirtschaft schreibt, denke ich sofort wieder an das Grundeinkommen für ALLE … dafür lohnt es sich doch zu kämpfen!
Wir sind keine Kirchenanhänger, dennoch verfolgen wir das Wirken dieses Papstes mit sehr großem Interesse. Offensichtlich treibt nicht nur uns die Sorge um sein Wohlergehen um, wenn ich die Kommentare von Sofasophia und Frau Blau richtig deute. In der Vergangenheit wurden viele hochrangige Kleriker nicht nur mundtot gemacht, sondern tatsächlich gänzlich zum Schweigen gebracht. Ich bete für diesen Papst, dass seine Worte und Taten Früchte tragen mögen und er in vielen Jahren eines natürlichen Todes sterben darf. Und ganz im Geheimen hoffe ich, dass in diesen Jahren noch die eine oder andere Revolution in der katholischen Kirche ihren Anfang nehmen möge.