Ich vermisse ihn (2017: 254)

Ein Stück der notierten Vergangenheit.

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Da draußen herbstelt es, morgens liegt manchmal schon Nebel über der Landschaft. Jetzt vermisse ich ihn sehr: meinen Großvater Kurt, der – wenn ich mich recht erinnere – im November 1972, also vor 45 Jahren, starb. Er, der Böttcher, der Mann mit den dunklen krausen Haaren, der oft eine blaue Schürze umgebunden hatte, in der sich duftende Hobel- und Sägespäne sammelten, ging in dieser Jahreszeit oft in den Wald. Und mich nahm er mit. Einige Wochen zuvor schon waren es die Schwarzbeeren (Blaubeeren, Heidelbeeren) und die Preißelbeeren, die wir in ziemlich großen Mengen mit den Händen pflückten und zum Wochenendhäuschen am Waldrand brachten. Jetz spätestens war die Zeit der “Schwamme”, der Pilze. Und was der alles für Pilze kannte! Trompeterle und Essenkehrer, Stein- und Birken- und Butterpilze, Ziegenlippen und -bart (die Goldgelbe Koralle), Stockschwämmchen, Graue Wulstlinge, Täublinge und natürlich Hallimasch. Auch davon fanden der Opa und ich fast immer reichlich, so reichlich, daß es für eine Mahlzeit für drei und für einige Gläser “Eingeweckte” reichte.

Wenn ich heute alleine in den Wald gehe, hier in die Dölauer Heide zum Beispiel, dann fehlt mir der Großvater, seine festen, aber leisen Schritte neben mir vermisse ich. Aber noch heute beherzige ich seinen Rat: “Schwamme suchstde ann bestn mit dr Noos!” (Pilze suchst Du am besten mit der Nase!) Ja, das funktioniert, und doch fand und finde ich ohne ihn viel, viel weniger Pilze. Meist reicht es für ein kurzes Schnürchen zu trocknender Scheibchen, selten für ein kleines Pfännchen mit Zwiebeln und in Butter gebraten. Es gab Zeiten, in denen ich mir meinen Opa Kurt herbeivorstellte, ihn sozusagen im Geiste neben mir hergehen ließ (und manchmal noch lasse, ihn, der jetzt 111jährig wäre), Pilzsammeltouren, auf denen ich mich von ihm, von seinem Geist leiten ließ. Doch nie finde ich so viele Pilze wie damals, mit ihm gemeinsam.

Ich liebe den Herbst (und den Winter, ja). Ich liebe Pilze, die ich auf genau die Art zubereite, die mein Großvater mochte. Sogar als “Saure Schwamme” – und die mochte ich als Kind nicht. Aber heute, heute mag ich die sehr. Nur nehme ich mir viel zu wenig Zeit für diese Gänge in den Wald, für die – nein, halt! Großvater ging nie “Schwamme suuhng” (Pilze suchen), nein, er ging mit mir “Schwamme huuln” (Pilze holen). Also gehe ich heutzutage viel zu selten Pilze aus dem Wald holen. Da fehlt mir des Großvaters Drang, morgens noch vor sechs Uhr loszuziehen, mit Korb und Messer (das stets zugedeckt im Korb liegen mußte, weil sich die Pilze versteckten, wenn sie das Messer sähen). Und vielleicht könnte ich heute keine Verwendung mehr finden für “Zappn un Kuttern” (Zapfen und Rindenstücke)), die manchmal, wenn die Ausbeute an Pilzen doch gar zu kläglich war, unten im Korb lagen und ein herrlich duftendes Brennmaterial für die Öfen im Wochenendhäuschen abgaben. Obenauf wurden die Pilze so verteilt, daß es nach reicher Ernte aussah für die anderen Pilzesucher, die wir auf dem Weg durch den Wald eventuell trafen.

Ja, ich vermisse nach 45 Jahren und mehr meinen Großvater Kurt, diese gemeinsamen Spaziergänge und Entdeckungsreisen, den Geruch der Holzfeuer und des darauf kochenden Essens. Es ist ein seltsames Ding mit meiner Vergangenheit und der Erinnerung daran. Diesmal aus der Zeit, in der ich zwischen fünf und neun Jahren alt war …

 

Ich schleiche mich davon und sage Danke für’s Lesen.

Der Emil

P.S.: Das Gute am 11.09.2017 waren ein sehr interessantes Gespräch in der Jojo-Redaktion, die Planung für den Freitag dieser Woche, weitere aufgeschriebene Erinnerungen.
 
Die Tageskarte für morgen ist IX – Der Eremit.

© 2017 – Der Emil. Text unter der Creative Commons 4.0 Unported Lizenz
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Über Der Emil

Not normal. Interested in nearly everything. Wearing black. Listening. Looking. Reading. Writing. Clochard / life artist / Lebenskünstler.
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0 Antworten zu Ich vermisse ihn (2017: 254)

  1. Mein Großvater hieß auch Kurt. <3

  2. puzzleblume sagt:

    Etwas anders und trotzdem rührst du auch an meine Kindheitserinnerungen. Vielen Dank dafür.
    Habt ihr eigentlich auch Kremplinge genommen? Ich war sehr überrascht nach all den leckeren Mahlzeiten, in denen sie dabei waren, als sie in die Liste der Giftpilze aufgenommen wurden, genau wie vom Hallimasch, den meine Grossmutter ganz besonders liebte, auf einmal abgeraten wurde.

    • Der Emil sagt:

      Kremplinge … Stimmt, da waren oft ein paar dabei. Allerdings durften die noch nicht sehr groß sein. Und beim Hallimasch nimmt man doch sowieso nur die Hüte.

  3. Eine sehr schöne Geschichte von damals, die berührt.. Halt sie schön in Erinnerung. Das ist das wertvollste was man besitzen kann.

  4. Was für eine schöne Liebeserklärung.

    • Der Emil sagt:

      Und ich kannte ihn nur so kurz.

      Aber seine Werkstatt (er war selbständiger Handwerker), einige Fertigkeiten und viele Erlebnisse sind in meinem Gedächtnis erhalten geblieben.

  5. wildgans sagt:

    Deine Großvatererinnerungen gefallen mir, zeigen sie doch ein Stück anderer Welt, eine der Geborgenheit, Naturverbundenheit, wohlfeiler Idylle. Hallimasch, besonders die kleinen, liebe ich. Die haben wir früher unbeschadet in gewissen Mengen schön geschmort und mit Butterbrot gegessen!

    • Der Emil sagt:

      Irgendwie hatten früher viele Menschen weniger Angst vor ihrem Essen und einer ganzen Menge anderer Dinge.

      Wohlfeile Idylle: Ich habe es als solche dargestellt, kindlich verklärt sicherlich, doch eine Idylle, eine wohlfeile noch dazu, war es nicht. Die weniger angenehmen Dinge blende ich aus, noch, doch notiert sind sie auch schon.

  6. Sofasophia sagt:

    Ich kann es buchstäblich riechen. Schöne näherende Bilder sind das. (Leider kenne ich die Pilze nicht, außer den Fliegenpilz, Psylos – ähm ja – und Tintlinge.)

  7. Gudrun sagt:

    Ich hätte mir gewünscht, dass meine Familie etwas länger für mich da gewesen wäre. Schon lange bin ich „Stammesältester“. Ich war ein Nachzügler, wie man mir immer sagte.
    Bei meiner Oma trocknete immer etwas auf dem alten Küchenherd: Brot, welches nie bei den Kaninchen ankam, weil ich es stipitzte, Orangenschale, weil es so gut roch, oder Apfelstücke für den Tee. Ich fand es so urgemütlich in der Küche. So eine habe ich mir gewünscht, als Oma für meine Enkel. Hier sollte es nach der Schule Mittagessen geben, Hausaufgaben gemacht, Tränen getrocknet, aber auch viel gelacht werden. Meine Enkel werden ganz weit weg wohnen und kaum in meine Küche finden. Werden ihnen solche Erinnerungen, wie du sie beschrieben hast, fehlen?

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