Sanktion & Leid (Nº 153 #oneaday)

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In der Bundesrepublik Deutschland können Menschen mit dem Entzug jeglicher Unterstützung bestraft (“sanktioniert mit Absenkung der Leistungen um 100%”) werden, obwohl der Staat laut Grundgesetz und BGH-Urteil das nicht tun dürfte. Der Sanktionsparagraph § 31 SGB II sieht die vollständige Kürzung aller Sozialleistungen vor (Entsprechendes gilt auch im SGB XII), was auch zu Wohnungslosigkeit usw. usf. führen kann. (Es gibt noch mehr solcher interessanter Rechtstatbestände.)

Ich mußte nur als Folge zu meinem Artikel Müdigkeit wieder daran denken. In einem Kommentar wurde ich daran erinnert, daß einige Obdachlose ihr Leben ein “Leben in Freiheit” nennen (und auch meiner Meinung nach für diese Freiheit ziemlich viel Ungemach, vulgo Leid genannt, auf sich nehmen).

 

Um das Leid anderer Leute zu verstehen, muß man wahrscheinlich wenigstens einmal im Leben wenigstens für eine Minute sich an die Stelle eines jeden von ihnen versetzen.
 

K. Simonow und M. Babak, Es gibt kein fremdes Leid
(Dokumentarfilm DEFA, 1972); aus dem Filmkommentar
 
 

Oder man lebt mal für eine oder zwei Wochen ihr Leben.

Jetzt weiß ich aber, warum (die meisten) Politiker das Leid nicht verstehen können: Sie haben keine Zeit, sich in das Elend von sieben Millionen Menschen in Deutschland hineinzuversetzen. Sieben Millionen Minuten – die runde ich gnädig auf 115.000 Stunden ab, was etwa 4791 Tagen oder rund 13 Jahre und ein Monat sind – die sie sich jede Minute in ein anderes Leid hineinversetzen müßten. Tag und Nacht, montags bis sonntags – ohne Pause.

Soviel Leid kann ein Mensch, der über das Existenzminimum eines Bürgers der Bundesrepublik entscheiden muß, nicht ertragen. Also wird wohl auch in der öffentlichen Anhörung zur Stärkung der Rechte von Arbeitssuchenden nicht gegen die stattlich verordnete Versagung des Existenzminimums vorgegangen werden …

 
Irgendwie weiß ich manchmal nicht, was ich tun / sagen / wagen kann / muß.
 

Der Verfasser des Blogs schleicht davon und dankt für’s Lesen.

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Über Der Emil

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0 Antworten zu Sanktion & Leid (Nº 153 #oneaday)

  1. Gudrun sagt:

    Das Leben auf der Straße als „Freiheit“ habe ich eben schon viel gehört, lieber Emil. Es ist ein Selbstschutz der Leute, weil es sonst nicht zu ertragen wäre. Es gibt auch einige Fernsehberichte über Obdachlosigkeit. Ehrliche.
    Was man tun kann weiß ich nicht, weil man an die Leute gar nicht richtig heran kommt, und weil das, was ich alleine tun kann, höchstens ein Tropfen auf den heißen Stein ist.

    Liebe Grüße an dich, und nicht so viele trübe Gedanken

  2. Ja, in der Tat ist das einer der großen Makel der Demokratie – zwar regiert das Volk, aber irgendwie haut das denn doch alles nicht so richtig hin. Mir scheint manchmal, unser System müßte noch verfeinert werden, um dafür zu sorgen, dass diejenigen, die entscheiden, auch wirklich wissen, worüber sie entscheiden, wissen im Sinne von „nachvollziehen, empfinden, fühlen“. Ich bin mir zum Beispiel sicher, dass es keinen Politiker gibt, der das GO! für einen Kriegseinsatz gibt, wenn er weiß, dass er damit seinen eigenen Sohn direkt an die Front schickt. Und falls es das doch gibt, dann soll dieser Mann erst einen Preis bekommen für wahrlich aufopferungsvolles, politisches Verhalten – und danach eine Ohrfeige von seinem Sohn und der Mutter seines Sohnes.

    Also da wäre mir manchmal evtl doch ein König lieber, da weiß ich, dass alles ungerecht ist und es mal mich, mal die anderen trifft.Aber so wie jetzt, unter dem Deckmantel angeblicher Gerechtigkeit und Ausgewogenheit…

    Und immer dran denken: wer den Schmerz nicht kennt, der hat das Leben nicht verdient.

    Beste Grüße!

  3. mayarosa sagt:

    Lieber Emil,
    so ganz verstehe ich nicht, worauf du mit deinem Post hinaus willst. Ich versuche mal, zu beschreiben bzw. zu kommentieren, was ich mitgenommen habe.
    Um das Leid eines anderen zu spüren oder zu verstehen, muss man sich in diese Person hineinversetzen. Ja. Unterschreibe ich sofort. Nur müssen wir aufpassen, weil in der Beurteilung auch immer unsere eigene Wertvorstellung dabei ist. Und die diagnostiziert manchmal Empfindungen, die andere so gar nicht empfinden.
    Viele Politiker haben keine Bodenhaftung mehr, wissen nicht, wie es den Normalos so ergeht. Unterschreibe ich auch.
    Der Bezug von Sozialleistungen kann sanktioniert werden. Nun das ist so. Kein Mensch ist nett oder gut, nur weil er arm oder reich ist. A.löcher gibt es mit und ohne Geld in der Tasche. Versetze dich in die alleinerziehende Kassiererin bei Aldi, die sich krumm und buckelig arbeitet und mit ihren Steuern auch Hartz IV finanziert. Natürlich gibt es politische Entscheidungen sowie Behördenmenschen, die das ausnutzen. Eine Lösung weiß ich auch nicht.
    Obdachlosigkeit wird mit Freiheit erklärt. Nun, obdachlos zu sein, bringt viele Probleme für die Betroffenen mit sich. Andererseits kommen viele von ihnen mit einem Leben in vier Wänden auch nicht klar. Ich kenne interessante Projekte, die über die Zwischenstation Bauwagen versuchen, dass sich Menschen, die auf der Straße leben, überhaupt wieder integrieren können.

    • der_emil sagt:

      Also hast Du ja doch alles verstanden …

      Denn von den Steuern der Kassiererin werden zuerst die Diäten der Politiker, dann ganz viele andere Sachen (Bundeswehr am Hindukusch) und ganz am Ende erst ALG II bezahlt … Übrigens: Auch ALG II – Empfänger zahlen verdammt viel Steuern (etwa 20 % der Ausgaben von ALG II Empfängern werden vom Staat als Steuer abgeschöpft)

  4. mayarosa sagt:

    Ich würde diese Gewichtung nicht einbringen. „Ganz am Ende ALG II“. Der Topf Sozialleistungen ist recht groß im Bundeshaushalt. Kenne genug Alleinerziehende, die sich sehr anstrengen, ihr Geld selbst zu verdienen. Und wenn dann einer kommt, und das Geld abschöpft ohne sich anzustrengen – und die gibt es auch – ist es für diese Menschen, die sich anstrengen, um über die Runden zu kommen, eine Ohrfeige.
    Von nix kommt nix. Auch das ist eine Wahrheit.
    Bei allen Verteilungsproblemen und Strukturproblemen, die es ja gibt.

    • der_emil sagt:

      Doch! Gerade diese Gewichtung bring ich. Wieso werden Bundestagsdiäten in 30 min erhöht (macht in summa etwa 20 % der Ausgabenerhöhung, die im anderen Fall notwendig war) und für ALG II verstreichen sogar verfassungsgerichtlich festgesetzte Fristen?

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