Nº 317 (2019): Zuviel und zuwenig

Auch innen wird sortiert.

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Ich saß heute wieder denkend und schreibend in der Straßenbahn, mit meiner Kladde, deren Seite ich mit voller Absicht nur so winzig hier abbilde. Den Text gebe ich aus ähnlichem Grunde auch nicht vollständig (es fehlt eine weitere halbe Seite) und nicht wortwörtlich, sondern korrigiert wieder. Ich hoffe auf euer Verständnis.

Notiz in Kurrent auf liniertem Papier.
Notiz aus der Straßenbahn (nicht vergrößerbar).

Dieses »zuviel«- und »zuwenig«-sein. Nicht nur auf mich bezogen, sondern einmal auch auf meinen Umgang mit »meinen« Mitmenschen geschaut:

Da sind mindestens drei, von denen kommt viel weniger als erwartet und erhofft. Zuwenig? Ja, wenn ich es daran messe, wieviel ich … Aber das ist ja wohl nicht wirklich gesund oder hilfreich. Ebenso sonderbar aber ist es, wenn ich mehr bekomme »als mir zusteht«. Ja, das sind dann in allr Regel materielle Sachen, Geschenke wie zum Beispiel von [ … ] … Es fällt mir auf: Zuwenig sind oft Emotionales und Berührungen, Materielles ist eher zuviel, wenn ich bekomme; genau andersherum empfinde ich all das, wenn ich gebe.

Da ist auch ein ziemlich starkes Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit dabei, des eigenen Unverstandenseins. Und Verwunderung über meine ziemlich große Bedürftigkeit, die sich im Zuwenig zeigt. Bin ich damit aber wirklich so anders gestrickt als viele andere Menschen? Oder anders gefragt: Weiche ich damit von der Norm ab (was auch immer eine Norm sein soll in diesem Bereich)? Da ist eben diese große, vielleicht sogar übergroße Bedürftigkeit, gerade was Körperkontakt angeht. Ich kenne die Theorien, daß das von zuwenig Körperkontakt in der postnatalen Phase und im Kleinstkindalter herrühren soll. Aber stimmt das? Hätte nicht ein Zuviel davon zur damaligen Zeit auch zu einer Übersättigung und damit zu einer späteren Ablehnung von Körperkontakt führen können?

Ich jedenfalls, ich habe für meine Bedürftigkeit, für mein Bedürfmis viel, viel zu wenig Haut an Haut, viel zu wenig Umarmung, Händchenhalten usw. usf. Solange ich alleine lebe, lechze ich schon danach. Und vielleicht ist es auch ein Grund für meine »übertriebenen Bemühungen, das Verlassenwerden zu vermeiden« (einer der diagnostischen Punkte des Borderline-Syndroms). Es ist gut, daß ich das alles eigentlich schon seit Jahren weiß, mich immer wieder einmal daran erinnern kann. Nur hilft das Wissen nicht gegen vergleichende Betrachtungen und das Manko hinweg.

 

So steht es da (in etwa) geschrieben in meiner Kladde. So habe ich es in der schwankenden, ratternden Funkenkutsche notiert. Die ist noch immer einer meiner liebsten Schreiborte, wenn nicht gar mein allerliebster.

Aufräumen (sortieren) im Inneren, ich schrieb davon.

 

Ich schleiche mich davon und sage Danke fürs Lesen.

Der Emil

P.S.: Am 13.11.2019 waren positiv eine neue Mine (kein gewöhnliches Exemplar), ein neuer Stift (0,05 mm Strichbreite nominal), den Kladden widerstanden zu haben.
 
Die Tageskarte für morgen ist XI – Die Gerechtigkeit.

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Über Der Emil

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5 Antworten zu Nº 317 (2019): Zuviel und zuwenig

  1. Sofasophia sagt:

    ‚Zu‘ ist ein winziges Wort, aber schärfer als ein Skalpell.
    (Ich lebe in einer ähnlichen Ambivalenz, was das Sehnen, Bekommen und Nicht-annehmen-Können betrifft.)

    Genug ist nicht genug … (Wecker).

    Möge es dir weiterhin immer wieder gelingen, dich in dieser, wie mir scheinen will, wohlwollenden Haltung zu beobachten.

  2. wildgans sagt:

    mit voller Absicht…aus ähnlichem Grunde…bisschen mysteriös, doch es ist ja allein dein Ding!
    In einer rüttelnden Straßenbahn zu schreiben, kann ich mir kaum vorstellen, ich würde auch die verstohlenen oder offenen Neugierblicke umsitzender Leute nicht wollen…Aber gut!
    Gruß von Sonja

    • Der Emil sagt:

      Es waren zu konkrete Beisiele mit Namen enthalten.

      Meine Schrift, dieses krakelige Kurrent, kann glücklicherweise keum jemand lesen. Und manchmal werden aus den neugierigen Blicken interessante Gespräche.

  3. Gudrun sagt:

    Da sind wir wohl beide gerade beim Aufräumen. (Nur der gemalene Muckefuck steht noch herum.)

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