Thomas 26 (Nº 287/2018)

Überwindungskunst im Fließen.

To get a Google translation use this link.

 

 

Erst in die Wanne, etwas aufwärmen. Ja, draußen sind noch immer über 20 °C – aber ich hab den ganzen Tag so ein leichtes Frösteln verspürt, als wäre da eine Erkältung zu erwarten. Keine Ahnung, wann ich mir die übergeholfen haben soll. Egal, ein Erkältungsbad tut bestimmt gut. Außerdem habe ich im Badezimmer sowieso ständig gute Ideen. Deshalb liegen seit Jahren Zettel und Stifte dort. Ja, Zettel, weil ich meine Notizbücher nicht der feuchtwarmen Luft aussetzen möchte. Ich habe also Schreibzeug dort, falls mir etwas einfällt, kann ich es gleich notieren; auch, wenn ich in einem Buch einen besonderen Satz oder eine besondere Textpassage finde, kann ich das gleich zur weiteren Verwendung festhalten. Auch zwei Lesebrillen habe ich dort deponiert. Allerdings gibt es ein Problem. Seit das alles dort bereitliegt, hatte ich im Bad kaum noch gute Ideen. Entweder bin ich zu wählerisch geworden, was das angeht, oder die Möglichkeit des Aufschreibens verhindert die Einfälle, weil sozusagen der Zwang zum Aufschreiben besteht.

Das ist jedoch nicht so schlimm, wie es vielleicht klingt. Manchmal nämlich habe ich in der Wanne (seltener auf dem Thron) noch immer gute Ideen, die ich mir merken kann, ohne sie zu notieren. Und die schreibe ich hinterher auf. Also wenn ich aus der Wanne raus und abgetrocknet bin und an meinem Schreibplatz sitze, den ich mir immer wieder freiräumen muß. Ja, mittlerweile habe ich auch hier eine Stelle dafür, denn draußen im Café oder gar in der S-Bahn, wie ich einmal phantasierte, fühle ich mich zu sehr beobachtet. Mein Schreibplatz zuhause hingegen bleibt intim. Allerdings lagert irgendjemand ständig irgendwelche Dinge auf dem ab, für die es in meiner Wohnung nicht gleich einen passenden Aufbewahrungsort gibt. Wenn ich dann wirklich einmal schreiben will und muß, steht davor die Aufgabe des Platzfrei­machens. In der Regel landet der Krempel neben mir auf dem Sofa, vorübergehend. Sobald ich die beiden Kerzen angezündet habe, die rechts und links auf dem Tisch stehen, tauche ich die Feder in die Tinte und beginne zu schreiben. Na gut, ich gestehe, daß ich manchmal auch, also meistens, Füllfederhalter verwende. Aber es ist Tinte, immer schwarze Tinte, die an diesem Platz aufs Papier gelangt. Ich bin einfach nicht in der Lage, zuhause mit Kugelschreibern oder sonstigen Stiften zu schreiben. Direkt am Computer? Um Himmelswillen, nein! Das geht nicht, da verspüre ich nichts von dem Fließen des Textest, nichts vom Fluß einer Geschichte. Dieses Hämmern auf einer Tastatur erinnert mich zu sehr an das Zerhacken von Dingen in allerkleinste Stückchen. Als müßte ich jeden einzelnen Buchstaben einer Geschichte mit einer einzelnen riesigen Stecknadel auf Pergament pointillieren … Das wird meinem Schreiben keineswegs gerecht.

Fließen muß es. Ohne allzuoft abzusetzen möchte ich Worte zu Papier bringen. Extra zu diesem Zweck habe ich mir angewöhnt, sämtliche Diakritika erst zu setzen, wenn das Wort zuendegeschrieben ist: die drei Striche und zwei Bögen einer Überwindungskunst setze ich erst, wenn ich das t geschrieben habe. Früher habe ich immer kurz nach dem Buchstaben, zu dem das diakritische Zeichen gehörte, innegehalten; das führte aber für meinen Geschmack zu zu vielen Unterbrechungen des Schreibflusses, die im Wort auch meist sichtbar waren. SO, als hätte ich mich “bemüht”, genau dieses Wort zu finden und zu schreiben. Aber egal, wieviel Mühe und Kampf mich manchmal jedes einzelne Wort kostet: Davon soll im Text nichts sichtbar werden. Gut, im gedruckten, schon im abgetippten Text ist es unmöglich, anhand des Schriftbildes Anstrengung zu erkennen. Aber ich, wenn ich an die Überarbeitung der Miniatur gehe, spätestens wenn ich etwas in den Computer übertrage, ich sehe die Mühe, das Hin und Her, und oft führt das dazu, daß ich den Text durch weiteres Daranherumlaborieren ruiniere, ihm einen gequälten Unterton verpasse, der dem Lesevergnügen nichts anderes als abträglich sein kann.

 

Bei den Briefen an Ruth – von denen ich mich noch keinen einzigen “abzuschicken” traute – verfahre ich grundsätzlich auch so, nur daß ich sie am Ende einfach einscanne zur Archivierung und nicht abtippe. Das Warten auf sie habe ich mittlerweile im Griff.

 

 

Noch ein Stück Text, mit dem ich die Figur langsam aus dem finsteren Denkicht in mir drin zerre (siehe Thomas 13 – es wird immer zum jeweils vorhergehenden Text verlinkt). Dieses Stück hier ist meiner Meinung nach aber nicht ganz rund, da fehlt etwas, das winzige Bröckchen Besonderheit, das ich gerne überall hineinschreibe.

 

Ich schleiche mich davon und sage Danke für’s Lesen.

Der Emil

P.S.: Positiv am 14.10.2018 waren Ausschlafen, besonderer Kaffee aus der Hallischen Rösterei am Alten Markt, weggeschmissenes Papier.
 
Die Tageskarte für morgen ist XIV – Die Mäßigkeit.

© 2018 – Der Emil. Text unter der Creative Commons 4.0 Unported Lizenz
CC by-nc-nd Website (Namensnennung, keine kommerzielle Verwertung, keine Veränderung).

Über Der Emil

Not normal. Interested in nearly everything. Wearing black. Listening. Looking. Reading. Writing. Clochard / life artist / Lebenskünstler.
Dieser Beitrag wurde unter 2018, Geschriebenes, One Post a Day abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

5 Antworten zu Thomas 26 (Nº 287/2018)

  1. Nati sagt:

    Bei mir muss alles still um mich sein, damit mei Kopf laut denken kann und die Ideen fließen können. Deshalb habe ich auch immer ein Blog und Stift dabei um die Ideen einzufangen. Dann wird manchmal noch etwas daran rumgefeilt um es hinterher zu veröffentlichen.

    • Der Emil sagt:

      Im Gegensatz zum Protagonisten brauche ich zum Erreichen meines inneren Schreibraumes — dieses speziellen Zustandes der Psyche — menschgemachte Geräusche um mich herum, „das Summen der Sozialisation“. Also ICH schreibe wirklich in der fahrenden Straßenbahn.

  2. Sofasophia sagt:

    Jetzt muss ich erstmal ‚diakritisch‘ suchmaschinen.

  3. Pingback: Nº 007 (2019): Eier mit Speck | GeDACHt | Geschrieben | Erlebt | Gesehen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert