23. Türchen: Weihnacht hinter verschloßnen Türen (Nº 357)


Das Publikum besteht aus Menschen

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Meinen Adventskalender hier widme ich allen, die kämpfen, allen, die krank sind. Und ganz besonders schreibe ich meinen Adventskalender in diesem Jahr für eine Bloggerin.
 
Ich wünsche mir und Dir, Chaoskatze, eine im wahrsten Sinne des Wortes wundervolle Weihnachtszeit. Alle meine Kerzen brennen für Dich und für alle Menschen, die Hoffnung brauchen.

 

 

Der Uniformierte neben ihm öffnet das nächste Schloß. Die Gittertür schwingt auf, er geht hindurch, bleibt stehen, der andere folgt und schließt die Tür wieder. So geht das hier jeden Tag. Stehenbleiben, Tür auf, durchgehen, stehenbleiben, Tür zu, weitergehen bis zur nächsten Tür, stehenbleiben usw. usf. Immer die gleichen Wege, immer der gleiche Ablauf. Tag für Tag, Jahr für Jahr.

Auch am 23. Dezember und in der ganzen Weihnachtszeit. Morgen wird es nicht anders sein. Und wer hier ist, ist an dem Tag allein. Vom Wecken bis zum abendlichen Einschluß. Allein, auch wenn sie zu zweit oder zu dritt in einer Zelle, nein, das heißt ja jetzt Haftraum, sind. Bescherung? Weihnachtsbaum? Kaum. Da ist es schon Luxus, einen Räuchermann, einen Leuchter oder eine Pyramide zu haben.

Jetzt gehen sie über den Hof. Er vorneweg und der Uniformierte schräg hinter ihm. Nieselregen trifft sein Gesicht, bleibt in feinen, silbrigen Tröpfchen in seinem Bart hängen. Am Eingang zum nächsten Haus bleibt er wieder stehen. Weil er den Aschenbecher neben der Tür sieht, fragt er den Uniformierten, ob er schnell noch eine rauchen darf. Der überlegt kurz, holt dann selbst ein Zigarettenetui aus der Jacke. Stummes Einverständnis, irgendwie.

Er beeilt sich, aus Tabak und Papier eine dünne Zigarette zu drehen und zündet sie dann umständlich mit einem Streichholz an. Es war ein Zugeständnis der Anstaltsleitung, daß er die Hölzer behalten durfte. Vor Feuchtigkeit geschützt glimmt die Zigarette bei beiden Männern in der hohlen Hand. Wortlos rauchen sie, eng, beinahe zu eng beieinanderstehend in der Türnische. Der Uniformierte ist zuerst ferig, wartet aber ab, bis auch er seine Kippe sorgfältig ausgedrückt hat. Dann geht es weiter.

Tür auf, durchgehen, stehenbleiben, Tür zu, weitergehen bis zur nächsten Tür, stehenbleiben, Tür auf, durchgehen, stehenbleiben, Tür zu usw. usf. Die Anstaltskapelle ist erreicht. Etwa hundert Gefangene sitzen im Raum. Nur ganz vorn sind noch einige Plätze frei. Er geht zwischen den Stuhlreihen hindurch, fühlt zweihundert Augen ihn beobachten.

Auch der Pfarrer sieht ihn an, bis er mit den Schultern zuckt. Jetzt dreht er sich um, hebt die Arme, schlägt eine Stimmgabel an, gibt die Töne für den Kirchenchor seiner Gemeinde vor. Der weihnachtliche Singegottesdienst beginnt mit einem Lied, das hier vielleicht auch falsche Hoffnungen wecken könnte.

Doch die Menschen, die hier im Publikum sitzen, weil sie Straftaten begangen haben, können nicht wie er und der Kirchenchor und der Pfarrer heute Abend heimgehen. Und morgen nicht alleine zuhause neben einem Weihnachtsbaum sitzen …

 

 

 

Eine friedvolle, besinnliche Zeit wünsche ich allen Leserinnen und Lesern.

Der Emil

Der Verfasser des Blogs schleicht davon und dankt für’s Lesen.

P.S.: Positiv am 22. Dezember 2013 war leckerer erzgebirgischer Weihnachtsstollen mit den Erinnerungen dazu.

© 2013 – Der Emil. Der Text (nicht das Video) steht unter der Creative Commons 3.0 Unported Lizenz
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Über Der Emil

Not normal. Interested in nearly everything. Wearing black. Listening. Looking. Reading. Writing. Clochard / life artist / Lebenskünstler.
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0 Antworten zu 23. Türchen: Weihnacht hinter verschloßnen Türen (Nº 357)

  1. Anna-Lena sagt:

    Auch das ist eine Gruppe von Menschen, die Weihnachten je nach ihren Bedingungen erleben. Weihnachten ist überall und findet im Inneren statt, nicht durch Äußerlichkeiten.
    LG Anna-Lena

  2. Gudrun sagt:

    Dein heutiger Adventskalenderbeitrag, lieber Emil, hat mich sehr berührt. Ich hane es heute morgen schon gelesen und konnte nichts dazu sagen, weil mir so viel durch den Kopf ging. Weißt du, es ist gut, und es ist mutig von dir, dass du an die Menschen im Knast – wie du sagst – denkst. Über sie redet man kaum, und schreibt noch viel weniger.
    Alleine neben dem Tannenbaum sollte eigentlich nie jemand sitzen. Aber das ist sicher ein Wunschtraum.

  3. nextkabinett sagt:

    Hat dies auf Germanys next Kabinettsküche rebloggt und kommentierte:
    „Weihnachten im Knast, das schob ich schon 2011 und 2012 vor mir her.“

    Das hast Du sehr sehr gut gemacht! Dafür hat es sich doch gelohnt zu warten.

  4. Gabi sagt:

    An diese Menschen denkt wohl kaum jemand. Obwohl, das Ganze ist ein bisschen zwiespältig. Diese Leute sind ja nicht ohne Grund eingesperrt. Aber natürlich sind sie auch Menschen und nicht alle sind Schwerverbrecher.
    Ein älterer Freund (aus dem Internet) von mir ist zur Zeit im Krankenhaus, weil er sich einer geplanten Operation unterziehen musste. Aber er meinte, so schlimm wäre das nicht, denn so ist er am Hl. Abend wenigstens nicht alleine.
    LG Gabi

    • Der Emil sagt:

      Es werden so viele Menschen vergessen. Die Arbeitenden. Die Eingesperrten. Die Kranken. Die Geflohenen. Die in Pflegeheimen. Die wider ihren Willen Abkommandierten. Die ohne Obdach. Und so weiter und so fort.

      Ist der Mensch am Heiligen Abend wirklich allein?

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