2025 – 235: Manches verschweigt er

Wenn da nicht nur eine fragwürdige Tautologie ist.

 

 

Die Schreibmaschine klappert seit seit genau 36 Minuten. In neun Minuten wird er einen Kaffee servieren, etwas Konversation mit ihr betreiben und sich verschiedene Sätze anhören müssen. Sie wird ihn um seine Meinung dazu „bitten” – allerdings wird er mit seinen Anmerkungen wie immer sehr vorsichtig sein. Es ist noch keine Woche her, da paßte ihr nicht, was sie von ihm hörte: Drei Tage mied sie ihn, verschwand immer wieder, wenn er auch nur in ihre Nähe zu kommen versuchte. Gut, sie wohnen in einem Haus, aber in einem ziemlich großen Haus; und aus dem Alter, da beide miteinander Verstecken spielten oder Fangen, sind sie beide schon mehrere Jahre raus, wie man so sagt.

Das Klappern ist soeben verstummt, er bringt den Kaffee zum Schreibtisch. Tante Erdmute sitzt zufrieden zurückgelehnt vor dem schwarzen Ungetüm. Sie lächelt ihn an, mit verträumten Blick, und trinkt zwei Schlückchen. Er steht wartend neben ihr. Seit Monaten geschieht immer montags, donnerstags und freitags dasselbe in der immer gleichen Reihenfolge. „Hier, hör mal”, sagt sie und liest dann einen Absatz vom soeben getippten Blatt ab. „Habe ich da nicht eine Tautologie benutzt? Daunenfedern – das ist doch etwas wie ein weißer Schimmel, ein totes Skelett oder so?” Kurz denkt er nach. Dann aber weiß er sie zu beruhigen. „Zunächst: Ich denke, es ist ein Pleonasmus.” Sieh zieht die Augenbrauen zusammen, will ihm ins Wort fallen. So winkt er kurz mit der Hand und fährt fort: „In manchen Fällen ist die Sprache in der Literatur deutlich anders als die Alltagssprache. Gehoben nennt sich das wohl. Und da – dessen bin ich mir sicher – da sind die Daunenfedern erlaubt.”

Ihre Stirn glättet sich; sie scheint mit der Antwort zufrieden und hat gleich noch eine weitere Frage. Allerdings dauert es, bis Tante Erdmute auf den Punkt kommt. Sie bittet darum, daß er bei der Ausge­stal­tung einer durchaus anzüglichen Szene seine männliche Sicht einbringt. Oh. Das kann er nicht tun, da würde er sich mit Sicherheit verplappern, verraten. Gut, es ist zwischen ihr und ihm seit Jahren kein Geheimnis mehr, aber sie spielen es noch immer. Und er möchte die Regeln dieses Spiels nicht verletzen. „Ich glaube, das wird nicht helfen. Zum einen kann ich mich an solche Szenen kaum noch erinnern, zum anderen hatte und habe ich doch eher Phantasien, die für die Allgemeinheit und die schöngeistige Literatur …” Tante Erdmute winkt ab, lächelt ihn an und beschließt:„Na gut, dann mußt Du damit leben, daß ich unsere …” „Natürlich, das werde ich. Noch einen Kaffee?„

Es ist eines der Wunder, die sie erleben: Sie verständigen sich mit unvollständigen Sätzen. Und so kann er weiterhin verschweigen, was offensichtlich ist – sie auch.

 

 

Erinnerung des Tages:
Als ich in Ostfriesland 1993 zum ersten Mal auf einem Deich stand, war Ebbe.

 

Mit einem Danke fürs Lesen schleiche ich mich davon.

Der Emil

 

P.S.: Am 23. August 2025 war ich zufrieden mit meiner Pünktlichkeit, mit dem recht reibungslosen Aufbau, mit den Gesprächen unter uns Vereinmitgliedern und mit dem Publikum.


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Über Der Emil

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2 Antworten zu 2025 – 235: Manches verschweigt er

  1. Schön, wieder einmal von der Tante Erdmute zu lesen.

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