307–2024: Erstaunlich

Seinen Namen las ich sicher schon, aber sonst:
Günter Kunert (∗ 1929 – † 2019)

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Ein Autor, der mir hätte schon in der DDR auffallen müssen als einer der Erst­unter­zeichner des Textes gegen die Biermann-Ausbürgerung. Er fiel mir aber nicht auf. Wahrscheinlich gab es dann auch nicht mehr viel von ihm zu lesen. Die Liste seiner Veröffentlichungen ist lang, und ich habe vom vor fünf Jahren Verstorbenen nur ein 1980 erschienenes Reclam-Büchlein, aus dem ich jetzt zitiere:

 

 
Ein bekannter Jemand
 

Jemand, dessen Name nicht genannt sein soll, packte ein heißes Eisen an. Wie nicht anders zu erwarten: Er verbrannte sich die Finger. Und so ging es mit jenem Jemand fort: Er ließ keines dieser Arte Eisen unberührt, stets glaubend, so glühend werde es nicht sein, wie es dennoch war. Und bei dem letzten Eisen, von dessen offenkundiger Weißglut nicht nur die Wissenden die Augen verschlossen, diesmal die Unwissenden sogar, schwor er, es sei höchstens lau: Dafür lege er beide Hände ins Feuer. Das Erwartete geschah, und er hielt Wort und in die Flamme seine Hände, die prompt verkohlte. Er meinte: Die wachsen nach. Sie taten's nicht. Da sagte, dessen Name nicht genannt sein soll: „Jetzt kann ich mir wenigstens die Finger nicht mehr verbrennen!”

Das heiße ich mir einen Optimismus.

Günter Kunert: Kurze Beschreibung eines Momentes der Ewigkeit. S. 84
© Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig 1980. RUB Band 820
Lizenz-Nr. 363. 340/14/80 · Bestell-Nr. 660 9145

 

 

Das ist einer der mich so faszinierenden, kurzen Texte aus dem Büchlein. Es gibt viele dieser Sorte, sehr viele. Und seine Gedichte möchte ich auch noch entdecken, alle! Wahrscheinlich kenne ich einige davon schon als von Kurt Schwaen komponierte Lieder, aber mal erhlich: Wer merkt sich normalerweise den Namen der, die die Liedtexte schrieben? Sein Name steht jetzt auf meiner Ausnahmeliste: Bücher von Günter Kunert darf ich aus den Öffentlichen Bücherschränken mit nach Hause nehmen.

Kunerts Leben war ja durchaus ein Politikum: Biermann-Unterstützer (nein: jemand, der die Freiheit der Kunst und der Kunstschaffenden verteidigt), Ausgereister. Ob er wohl (darüber finde ich keine Information) DDR-Bürger geblieben war nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik? Vielleicht wäre das nachzulesen in seinen drei autobiografischen Kurzberichten, die in Ausgabe 5/2023 von Sinn und Form, Beiträge zur Literatur, enthalten sind. Vielleicht gibt es eine Bibliothek, in der ich das Heft finden kann (die Uni-Bibliothek hierzudtadt eventuell).

Halbseitige oder noch kürzere Häppchen sind es oft, die mich nachdenklich werden lassen. Hier fühle ich mich heute sehr an den Zweckoptimismus mancher Politik­dar­steller erinnert.

 

Erinnerung des Tages:
Es ist und bleibt ein sehr, sehr besonderer Augenblick (im wahrsten Sinn des Wortes), den ich immer und immer wieder erleben möchte, seit ich ihn zum ersten Mal vor über 20 Jahren erleben durfte.

 

Mit einem Danke fürs Lesen schleiche ich mich davon.

Der Emil

 

P.S.: Zufrieden war ich am 2. November 2024 mit dem erledigten Aufräumen, mit dem Rest der Möhrensuppe, mit der kleinen Expedition durch die Stadt.

© 2024 – Der Emil. Eigener Text unter der Creative Commons 4.0 Unported Lizenz
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Über Der Emil

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