Ein 75 Jahre altes Stück Literatur vor mir auf dem Tisch.
Wie lange stand das Buch schon bei mir? Es ist wahrscheinlich, daß ich es aus einem Öffentlichen Bücherregal oder einer Zu-Verschenken-Kiste habe. Die Erzählungen, aus denen der Roman besteht, sind schon vor 1950 entstanden. Damals verfaßte Ray Bradbury Die Marschroniken (in den USA 1950 erstmals herausgegeben), in denen die Jahre 1999 bis 2005 und das Jahr 2026 die Handlungszeiträume sind. Ich lese das Buch jetzt, und ich lese ein dystopisches Werk, das die Auswüchse imperialistischer (bewußt gewähltes Wort) Phantasmen und ihre Auswirkungen beschreibt. Und so leid es mir tut, ich sehe … Nein, kein Wortüber das Gebaren von wirklich unangenehmen, schlechten Menschen in verantwortlichen Positionen.
Nun, die Sprache. Ich lese die deutsche Übersetzung. Thomas Schlück übersetzte das Werk aus dem Amerikanischen für die 1972 erschienene deutsche Erstausgabe – „aus dem Amerikanischen” … (Ob das noch heute gemacht wird, diese Unterscheidung zwischen Englisch und Amerikanisch?) Es gefällt mir, wie die Sprache in mir Bilder und Filme und Gedanken entstehen läßt. Wie nachvollziehbar für mich auch die Schauplätze und die Handelnden und all das Drumherum ausgearbeitet sind. Ob ich das Original verstehen könnte?
Zur Zeit lese ich (beinahe las ich schon) also Die Marschroniken. Und amüsiere mich zum Teil darüber, wie sich jemand 1950 die Zeit vor 26 bis 20 Jahren und das nächste Jahr vorstellen konnte. So ganz weit weg von den wissenschaftlich-phantastischen Werken aus meinem Kulturkreis und vom Universum aus StarTrek oder Dr. Who (und all deren Ablegern). Ich stellte und stelle mir die Menschen der Zukunft immer vor als solche, die Besitzansprüche und Gier nach privatem Eigentum und Besitz überwanden und stattdessen Teilen und solidarisches Handeln zur Maxime des Lebens machen konnten. Ja, diese Vorstellung hat gerade in jüngster Zeit heftige Dellen und Kratzer bekommen, aber so ganz gebe ich meine Hoffnungen noch nicht auf.
Knapp ein Drittel oder etwas mehr als ein Viertel des Buches bleibt mir noch; doch ich habe auch schon hinten im Buch herumgeblättert. Ich bemerke im Moment ein sonderbar unbestimmtes Gefühl, daß ich Wichtiges darin übersehen, überlesen habe. Aus diesem Grund saß ich heute am späten Nachmittag da und überlegte, ob ich vor dem Ende einfach noch einmal von vorne anfange. Noch bin ich zu keinem Ergebnis gekommen. (Aber ich hätte schon Lust zu tun, was sonst nur selten möglich ist.)
Und: Ist es nicht verwunderlich, daß die ferne Zukunft schon lange vorbei ist, daß Morgen und Übermorgen schon Vorgestern und Gestern waren?
Heute weggegeben bzw. entsorgt:
Ziemlich viele eingescannte Zettel sind jetzt zerschnippeltes Altpapier.
Mit einem Danke fürs Lesen schleiche ich mich davon.
P.S.: Am 25. November 2025 war ich zufrieden mit dem Lesestoff, mit einer sortierten Ecke, mit dem Heidelbeerjoghurt.
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