091–2024: Gehäkelt

Aus den Notizen eines Pflegeheimbewohners.

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Als der alte Mann verstarb, fand man bei ihm überall Zettel, auf denen mehr oder weniger deutlich Ereignisse aus seiner Vergangenheit notiert waren. Das hier ist der Text von einer dieser Notizen.

 

 

Ach, was habe ich diese Dinger früher gehaßt. Bei meiner Mutter und bei meiner zweiten Frau lagen sie überall herum, diese „Deckchen”. Wo auch immer etwas Nützliches oder Dekoration herumstand, wurde eines von denen druntergelegt. Da waren echte geklöppelte oder gehäkelte, maschinengefertigte und sogar welche aus Plaste dabei. Deckchen! Ach ja, und Tischläufer auch. Mich habe sie immer nur gestört, weil sie in meinem Augen zumeist abscheulich aussahen. Fast dreißig Jahre habe ich ohne „Deckchen” gelebt und gewohnt.

Einmal fand ich eines, das ich selbst bei meiner Großmutter gehäkelt hatte. Da muß ich so etwa zehn Jahre alt gewesen sein und noch Freude an den Dingern gehabt haben. Es lag all die vielen Jahre zwischen einer Garnitur Bettwäsche. Ich weiß nicht, wie oft die unbenutzt mit mir umgezogen ist! Aber einmal habe ich sie hergesucht und mein Bett damit bezogen. Und genau dabei fiel dieses „Deckchen” mir vor meine Füße, dieses von mir selbst gehäkelte. Meine Güte, was ich damals alles von Oma gelernt hatte: Heute könnte ich wahrscheinlich nur noch Luftmaschen und feste Maschen, mit denen ließe sich ein solches Kunstwerk keinesfalls erschaffen. Und dann dieses feine Häkelgarn! Wer weiß, was dagegen eingetauscht werden mußte: ein Hühnchen, Tabak, etwas von der selbstgemachten Butter, oder Kartoffeln? Großmutter häkelte Deckchen, tagein, tagaus. Zeit ihres Lebens, wurde immer erzählt. Eingetauscht hat sie die Ergebnisse ihrer Handarbeit, eingetauscht gegen dies und das, manchmal auch nur gegen ein paar freundliche Worte. Denn selbst die waren rar in den Jahren, da ich mit ihr häkelte.

Dieses eine entstand wohl in der Zeit, da noch die Amerikaner unser Dörfchen besetzt hatten. Also zwischen April und Anfang Juli, denn dann kamen die Russen, die Sowjetarmee. Ob es einen Unterschied zwischen den Besatzern gab? Ich kann es nicht mehr sagen, es ist so lange her. Nichts gab es bei beiden, und es gab von nichts genug.

So war das. Plötzlich lag ein „Deckchen” bei mir herum. Eines, das ich meiner Erinnerung nach selbst gemacht habe. Dreißig Jahre hatte ich es ohne ausgehalten, geschafft. Ein Leuchter stand dann darauf, an dem ich wahrscheinlich keine Kerze mehr anzündete, damit nicht herunterlaufendes Wachs mein Deckchen ruiniert.

Häkeldeckchen, bei mir in der Wohnung, undenkbar für Jahre.

 

 

Erinnerung des Tages:
Etwas, das mich zu diesem Text inspirierte: Ich bekam Taschentücher übergeben, die ich als Kind selbst mit Spitze umhäkelte.

 

Mit einem Danke fürs Lesen schleiche ich mich davon.

Der Emil

 

P.S.: Zufrieden war ich am 31. März 2024 mit dem Blick vom Balkon, mit meinen alten Taschentüchern, mit Schnitzel und Salzkartoffeln und Salat am Abend.

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Über Der Emil

Not normal. Interested in nearly everything. Wearing black. Listening. Looking. Reading. Writing. Clochard / life artist / Lebenskünstler.
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2 Antworten zu 091–2024: Gehäkelt

  1. Sonja sagt:

    Eigentlich doch recht sinnlos, diese Häkeleien. Doch habe ich stets wieder Freude an meinen selbstgehäkelten Topflappen. Die halten lange.
    Du hattest wohl als Junge eine gute Feinmotorik, wie man so sagt.

    • Der Emil sagt:

      Nein, sinnlos nannte ich sie nie. Ich finde die Häkelspitze z.B. an Taschentüchern sogar sehr schön. (Es geht feinmototisch noch immer ziemlich viel bei mir.)

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