025–2024: Erbstück 022

Tagebuch A: Sonnabend, 22. Januar.

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Zu früh wach: Halb Sieben ist nicht meine Zeit. Aber nachdem ich ein Weilchen versuchte, noch etwas zu schlafen oder zumindest liegenzubleiben und das wirklich nicht ging, saß ich eben so früh am Rechner und las in den Blogs meiner Freunde. (Oh. Darf ich Menschen, die ich nur virtuell kenne, von denen ich eben nur ihre Texte kenne, wirklich „Freunde” nennen?) Na gut, der Kaffee war stark und schmeckte, ich aß Speckfett­bem­men vom Bäckerbrot statt Keks. In mir war eine unbestimmte Unruhe, die mich den ganzen Tag nicht verlassen sollte.

Ich mußte raus. Das hätte ich heute auch bei Regen getan. Doch der Himmel war nur grau, blieb grau und behielt alle Flüssigkeit bei sich. Ich hatte nichts mitgenommen außer meiner kleinen Digitalkamera. Keine Kladde, keinen Stift, Nichts. Nur den Willen, ein paar Motive zu entdecken und davon ein paar Aufnahmen zu machen. Dann aber, dann sah ich ablichtenswerte Dinge und war nicht in der Lage, die wenigen Sekunden stehenzubleiben, die ein Bild gebraucht hätte. Ich habe es versucht – es ging nicht, es fühlte sich jedes Mal unrichtig an. Wahrscheinlich war auch da Angst dabei, Angst davor, das jedes Bild niemals den Ansprüchen genügen könnte, die ich heute an Bilder hatte. Doch hauptsächlich fehlte mir die notwendige Ruhe, ich konnte sie nicht erzwingen. Die notwendige Ruhe, die mir die Zeit und die Gelegenheit gegeben hätte, mich auf ein Motiv so einzulassen, wie es notwendig ist und wie es jedes einzelne davon verdient hat.

Ich kam ohne Bild wieder nachhause. Beim Schreiben bin ich wohl auch so: Oft ist für mich nicht gut genug, was ich da zu Papier gebracht habe. Und wenn das dann trotzdem gelobt wird, dann schäme ich mich und werde rot – doch irgendwo tief in mir tut es mir gut, schmeichelt es mir (obwohl es mir ja nicht zusteht, denn das, was ich schrieb, ist bestenfalls normal und nicht des Lobes wert, so mein innerer Kritiker). Aber wenigstens schreibe ich etwas, immer wieder, auch, wenn ich unruhig bin. Das Papier bleibt nicht leer wie die Speicherkarte der Kamera.

Später saß ich, noch immer unruhig, aber nun einigermaßen beherrscht, mit der Nase im Buch da. Ich verstand die gelesenen Sätze, folgte Gedanken und Gefühlen, die ja „nur” die Protagonisten hatten. Ich konnte komplett ins Buch eintauchen und die ganze Welt um mich herum war weg. So sehr und weit weg, daß ich zwei Stunden mit großem Vergnügen las. Und einer der Gedanken im Buch blieb bei mir hängen und wurde zu einem zwei Seiten umfassenden Text. Zu einem Text, den ich wie üblich an einem Stück herunterschrieb und mit dem ich, nachdem ich den Stift weggelegt hatte – durch­aus im Widerspruch zum oben Geschriebenem! – einiger­maßen zufrieden war und noch immer zufrieden bin. Das macht mich jetzt aber auch wieder unruhig, nein, aufgeregt, erregt, überdreht.

Zum Abendessen hatte ich Rührei mit Zwiebeln und Speck, und es gab Butterbrot dazu (heute keine Margarine). Den letzten Glühwein hab ich mir warmgemacht und getrunken. Hoffentlich gibt es irgenwo noch welchen zu kaufen, meine Weihnachtszeit geht ja noch elf Tage. Jetzt gleich versuche ich, im Traumland Ruhe zu finden. Mal sehen, wem ich dort heut Nacht begegnen werde.

 

 

Mit diesem Text wird das geerbte Tagebuch fortgesetzt. Alle Teile der Erbkladden-Serie sind in diesem Link in umgekehrter zeitlicher Reihenfolge (neueste zuerst) zu finden. Über eines der Notiz­bü­cher erzählte ich ja schon vor langer Zeit, im November 2012. Ich tippe die kleinen blauen lateinischen Buchstaben ab, immer mal wieder. Erst jetzt nämlich darf ich abschreiben aus den „von einem Freund geerbten” Kladden mit dieser winzigen Schrift.

 

Erinnerung des Tages:
Auf der Halde, neben dem Schießplatz der Polizei fanden wir Kinder Patronenhülsen der Kaliber 5,6 mm, 7,62 mm und 9 mm – das waren damals™ Schätze in den Jahren um 1970 herum.

 

Mit einem Danke fürs Lesen schleiche ich mich davon.

Der Emil

 

P.S.: Zufrieden war ich am 25. Januar 2024 mit dem viel zu frühen Aufstehen, mit Rosinenbrötchen und Anisbrötchen zum Frühstück, mit der vom Feuer im brennenden Kaminofen ausgehenden Wärme.

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Über Der Emil

Not normal. Interested in nearly everything. Wearing black. Listening. Looking. Reading. Writing. Clochard / life artist / Lebenskünstler.
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