2023/072 – Gefahren


Es kommt darauf an, wie eine Reise beschrieben wird.

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Zwei Semmeln hatte er geschmiert mit Butter und Teewurst und mit Käse. Die wurden in einer Tüte steckend in den Ruck­sack gepackt. Eine Flasche Pfefferminztee kam dazu und ein Knirps. Eines der drei angelesenen Bücher auch. Wo war denn nur … Ah, die Kamera, da. Dann kleidete er sich an, schaltete alle Geräte aus bis auf den Kühlschrank, zog sogar die Stecker aus den Steckdosen. Als er zur Wohungstür hinausging, schaute er noch einmal zur Garderobe, an der die Regenjacke hing, genau da, wo sie hängen sollte. Dann schloß er sorgfältig zweimal ab, drehte die Schloßabdeckung auf 10 Uhr und ging los. Er fühlte sich beinahe heimatlos, wie am Beginn jeder Reise, heute ließ er es allerdings nicht zu, daß ihn der Mut verließ. Und so machte er sich auf den Weg. Erst fuhr er mit dem Bus, dann mit der Eisenbahn. Danach wieder im Bus über die Straßen, ehe er an einem anderen Bahnhof in den näch­sten Zug steigen wollte. Doch die vier Minuten Verspätung des Busses waren zuviel, hießen: knapp 30 Minuten auf den nächsten Zug warten. Das war viel Zeit, die ein Mensch auf einem leeren, windigen Bahnsteig zu verbringen hat. Also suchte er nach sehenswerten Kleinigkeiten, nach Fallenge­las­se­nem, nach Pflänzchen, nach Mustern. Ja, er fand einiges, das er auch fotografierte. Doch wirlich zufrieden war er damit nicht.

Dann, wieder in einem Zug, aß und trank er. Erst die Käse­semmel, dann die mit Teewurst, bei der er den Senf vergessen hatte. Und er trank seinen Tee dazu. Für das Buch blieb keine Zeit, er mußte wieder umsteigen. Zwischen dem Haltepunkt, der dennoch Bahnhof genannt wurde auf den Schildern, und der Bushaltestelle lagen gut anderthalb Kilometer Fußweg, die er leise stöhnend in Angriff nahm. Gott sei Dank war es weder zu kalt noch zu warm, und der graue Himmel blieb trocken, ganz so, wie es der Wetterbericht vorhergesagt hatte. Er fand unterwegs noch eine verwitterte Hausnummer und ein schief­hängendes Vogelfutterhäuschen, die er beide schnell mit der Kamera festhielt. Der Bus würde gewiß nicht auf ihn warten, ahnte er, und so nahm er sich viel zu wenig Zeit mit den beiden Motiven. Er war gerade rechtzeitig, genau eine Minute vor dem Bus, an der Haltestelle. Drin setze er sich ganz nach hinten, an die hintere Tür. Die Strecke ist ihm wohlbekannt, er weiß, daß ihm das Aussteigen an der hinteren Tür eine halbe Buslänge Fußweg draußen erspart. Also gab es keinen Grund, an diesem Tag im fast leeren Bus einen anderen Platz einzunehmen. Die Müdigkeit überkam ihn, und er mußte unter allen Umständen wachbleiben, um seinen Ausstieg nicht zu verpassen.

Endlich am Ziel. Nach fast fünf Stunden auf Reisen, gefahren mit Bus und Bahn, öffnete er seine Wohnungstür, ging hinein, schloß hinter sich ab. Stellte den Rucksack neben das Schuhre­gal, zog Jacke und Schuhe aus. Ging umher, steckte einen nach dem anderen die Stecker wieder in die Steckdosen, schaltete manche Geräte wieder ein. Völlig erschöpft legte er sich auf das Sofa, nur für zehn Minuten legte er sich hin, dachte er, und er dachte über seine Pläne nach: In dieser Woche wollte er noch weitere zwei Mal auf Reisen gehen …

 

 

Ich schleiche mich davon und sage Danke fürs Lesen.

Der Emil

 

P.S.: Am 13. März 2023 war ich zufrieden mit dem weggeworfenen Papierzeug, mit der Brokkolisuppe, mit den weggebrachten Büchern.

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Über Der Emil

Not normal. Interested in nearly everything. Wearing black. Listening. Looking. Reading. Writing. Clochard / life artist / Lebenskünstler.
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7 Antworten zu 2023/072 – Gefahren

  1. Sonja sagt:

    um mal was ganz banales zu sagen: auch eine solche Art des Reisens kann abenteuerlich sein, auf jeden Fall würde auch mich das in eine mehr oder weniger wohlige Erschöpfung geraten lassen…

    • Der Emil sagt:

      Ein wenig meiner Erinnerungen an eine nicht so angenehme Zeit habe ich hineingepackt, aber nur ein wenig. Damals war sogar ein Einkauf ein kaum zu bewältigendes Abenteuer …

  2. Myriade sagt:

    Rundreisen nennt man sowas 🙂

  3. Sofasophia sagt:

    Ich wusste es. Das erinnert mich an einen Song von Patent Ochsner.

    (Was ist eine Schlossabdeckung?)

  4. Gudrun Ebert sagt:

    Mich macht die Geschichte traurig.
    Da ist jemand so perfektionistisch in seinem Zeitplan und auch so, dass er vergisst, mal inne zu halten, am schiefhängendem Vogelhaus zum Beispiel. Er hätte in Ruhe seine Fotos machen könne. Und vielleicht hätte er das Häuschen gerade gerückt, mit geneigtem Kopf betrachtet und festgestellt, dass ein bisschen der Quer ganz interessant sein kann. Die Welt hätte sich weiter gedreht, ein nächster Bus wäre gekommen und vielleicht hätte er sich ganz woanders hingesetzt. Einfach so.

    • Der Emil sagt:

      Ja, Gudrun: Manchen Menschen fällt das Innehalten schwer; sie sind zu sehr auf das Einhalten von Plänen (unter allen Umständen, und aus welchen Gründen auch immer) angewiesen …

      Zumindest aber hat er es geschafft, nach sonst Übersehenem zu suchen.

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