Tagebuch A: Dienstag, 4. Januar
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Ich habe sehr schlecht geschlafen, sogar beschissen geschlafen. Ich war sehr oft wach und weiß, daß ich Szenen aus dem vermaledeiten Märchen geträumt habe, an die ich mich natürlich nicht erinnern kann. Dann war der Kaffee endlich fertig. Ja, auch heute früh gab es nichts anderes als den obligatorischen Keks. Ich schaffte es sogar, schon zwei Stunden später unterwegs zu sein zum Einkauf. Ich hab aber erst zuhause gemerkt, daß ich den Senf vergessen hatte. Den muß ich dann eben mitbringen, wenn ich auch nochmal Brot und Milch kaufen muß.
Ich habe mir dann ein neues Buch herausgesucht, das ich nach dem „Laden II” als nächstes lesen werde. Den Raskolnikow – Dostojewskis „Schuld und Sühne” – hab ich als für mich unlesbar in die hinterste Ecke des Bücherregals verbannt. Und auch das Märchen verschwand heute vom Schreibtisch. Ich fühle mich davon blockiert. Zur Ablenkung wollte ich mal wieder automatisch schreiben. Pustekuchen. Das wunderte mich aber nicht besonders, denn es ist lange her, daß es zuletzt funktionierte. Mit leerem Kopf vor leerem Papier sitzend. Was für ein beschissenes Gefühl, und ich fühle mich in letzter Zeit oft so. Nein, es kann nicht daran liegen, daß sie grad nicht hier ist. Sie war früher auch allein im Urlaub oder auf Dienstreise – und ich war währenddessen durchaus in der Lage, produktiv zu schreiben. Zum Glück habe ich ja meine schwarzen Notizbücher, in denen ich solche Dinge über meine Vergangenheit lesen kann.
Den Nachmittag über dachte ich fast nur an meine Frau. Seit Silvester ist sie – ich weiß nicht genau, wo sie ist. Eine Auszeit, weil … Nun: Weil ich ihr zu sehr klammerte und zugleich viel zu oft abwesend war. Aber ist es nicht ganz normal, daß ich jede Minute meines Lebens mit der Liebe meines Lebens verbringen möchte? Das ist doch kein Klammern, das ist doch nur gesuchte Nähe! Und wenn ich neben ihr sitze oder liege, sie im Ahrm habe und kurz träume von all dem, was ich mit ihr erleben will: Bin ich dann abwesend, obwohl sie mich und ich sie spüren kann? Es ist doch jemand, den ich mit allen Sinnen wahrnehmen kann eben gerade nicht abwesend? — Doch jetzt, jetzt ist sie wirklich abwesend, nicht hier, nicht bei mir, irgendwo anders, wo ich sie nicht finden, nicht erreichen kann. Auszeit … Wahrscheinlich … Eventuell bin ich ihr körperlich unangenehm geworden, sexuell zu aufdringlich. Oder meine Ideen haben sie verschreckt.
Ich will überhaupt nicht soviel nachdenken darüber, daß sie gerade, im Moment nicht bei mir ist. Nicht darüber, daß ich mich alleine und einsam fühle. Ich habe mit meinem Kopf anderes zu tun. Schreiben. Ausdenken und aufschreiben, was ich erdachte. Damit soll mein Hirn beschäftigt sein. Mit – jetzt bezeichne ich es einfach mal unangemessen so – Literatur. Jajajajaja.
Weißbrot und eine Dose Bratheringsfilet. Sauer soll lustig machen. Jetzt lieg ich auf dem Bett und kann nicht einschlafen, weil sich meine Gedanken immer nur im Kreis drehen …
Mit diesem Text wird das geerbte Tagebuch fortgesetzt. Ich tippe die kleinen blauen lateinischen Buchstaben ab, immer mal wieder. Erst jetzt darf ich abschreiben aus den Kladden mit dieser winzigen Schrift, die ich „von meinem Freund erbte”. Ich übernehme seine Hervorhebungen. Über eines der Notizbücher erzählte ich ja schon vor langer Zeit, im November 2012.
Ich schleiche mich davon und sage Danke fürs Lesen.
P.S.: Am 14. Januar 2023 war ich zufrieden mit der erledigten Hausarbeit, mit dem „vergänglichen” Text (mit Bleistift geschrieben, was für mich wirklich ungewöhnlich ist), mit einer Idee für den Sommer.
© 2023 – Der Emil. Text unter der Creative Commons 4.0 Unported Lizenz
(Namensnennung, keine kommerzielle Verwertung, keine Veränderung).
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