Nº 320 (2022) – Spinnrad

Verlorengegangenes Wissen muß wiedererworben werden.

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Ach, so ein Unglück. Da haben doch die (Ur-)Enkel am Spinnrad herum­ge­zup­pelt. (Urenkel sind es für meine Mutter, Enkel für meinen Bruder bzw. für mich.) Dabei ist der uralte, gewachste Strick zerrissen, mit dem das Ganze ange­trie­ben wurde. Der einzige Mensch, der wußte, wie der Strick auf das Spinnrad der Mecklenburger Oma (meiner Großmutter) aufzuziehen ist, ist bzw. war mein Vater. Der kann sich allerdings weder daran erinnern noch sich selbst um das Spinnrad kümmern: Er lebt wegen seiner Demenz seit über zwei Jahren in einer Seniorenresidenz mit spezialisierter Demenzstation.

Wie muß nun ein Strick über das Antriebsrad und über Spulen- und Flügelwirtel (am Spinn­rad heißen die Riemenscheiben der Abtiebe „Wirtel”) gelegt werden? Ja, um beide. Ich suchte zunächst im Internet, ob dort eine Lösung für meine Aufgabe zu finden sei. Hm. Nicht wirklich, wahrscheinlich hatte ich zu viele oder einfach die falschen Stichworte angegeben. Aber Spinnradprobleme … Da war doch was … Und dann fiel es mir wieder ein: Ich kenne ja jemanden aus Kleinbloggersdorf! Genau! Jemanden mit echt viel Erfahrung im Spinnen und Zwirnen und Filzen und wahrscheinlich, nein: sicher auch mit Spinnrädern!

Ich zögerte am heutigen Feiertag (nun, zumindest in Sachsen ist/war heute Feiertag, der Buß- und Bettag) nicht und rief im Spinnstübchen an. Im nicht sehr ausgedehnten Telefonat wurde ich um Bilder vom Spinnrad gebeten. Natür­lich habe ich die versprochen und auch gemacht, nur noch nicht ver­schickt. Nebenbei fiel ein Stichwort, das ich bisher nicht zur Suche eingegeben hatte: zweifädiger Antrieb. Und ja, der heißt so, auch wenn nur ein einziger langer Antriebsriemen (Strick, Faden) benutzt wird. Der aber zur Acht verdreht zweimal auf dem Treibrad und jeweils einmal auf Spulenwirtel und Flügelwirtel läuft.

Der originale Antriebsstrick ist direkt an seiner Verspleißung abgerissen – und selbst wenn ich ihn reparieren könnte, wäre er in Zukunft zu kurz. In meines Vaters wohlsortierten Vorrats-, Werkzeug- und Eratzteillagern fand ich erwar­tungs­gemäß Material, mit dem ich einen neuen Riemen/Strick anfertigen kann. Ich versuche mich bis zum Wochenende am Verspleißen der beiden Enden (ich habe auch sehr feinen, sehr festen Faden gefunden, mit dem ich die gespleißte Stelle umwickeln und festigen kann. Ich werde den neuen Strick mit Bienen­wachs imprägnieren. Dann werd' ich, wenn die Nachricht mit der Anleitung bzw. den Tipps zum Aufziehen des Antriebsstricks ankam, auch das noch tun. Aber spinnen, spinnen werde ich nicht. Denn das kann ich nicht, ich hab es nie gelernt, mit dem Spinnrad zu arbeiten.

Meine Mutter wird hoffentlich mit dem irgendwann erreichten Ergebnis zufrie­densein. Obwohl auch sie nicht mit dem Rad spinnen kann, möchte sie es doch funktionsfähig erhalten. Tja, da werde ich einige Teile auch mal wieder etwas anfeuchten müssen …

 

Ich schleiche mich davon und sage Danke fürs Lesen.

Der Emil

 

P.S.: Gut fand ich am 16.11.2022 ein Telefongespräch zur Mittagszeit, den Linseneintopf, die vielen Vögel am Futterhaus.
 
Für morgen zog ich die Tageskarte Ass der Münzen.

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Über Der Emil

Not normal. Interested in nearly everything. Wearing black. Listening. Looking. Reading. Writing. Clochard / life artist / Lebenskünstler.
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11 Antworten zu Nº 320 (2022) – Spinnrad

  1. Gudrun sagt:

    Das freut mich sehr, dass das gute Stück seinen Platz behalten darf. Alle Teile, die sich drehen, oder das wo vorne der Spinnflügel aufliegt, brauchen ab und an Öl. Machinenöl ist ungeeignet, Spinnradöl aus dem Fachhandel teuer, aber Balistrol ist prima. Es wurde ja zur Pflege von Holz, Leder, Metall eingesetzt.
    Deine Mutter wird sich freuen, wenn das Familienstück wieder strahlt.
    Grüße von nebenan.

    • Der Emil sagt:

      Ich schick Dir morgen die Bilder – dem Rad ist sein Alter deutlich anzusehen (es soll aus der Zeit des I. WK stammen, also mittlerweile über 100 Jahre sein).

      Hauptsache, ich bekomme den Faden hin. (Mal sehen, was ich noch an Öl finde in den Vorräten, Ballistol sollte dabeisein.)

  2. Lin sagt:

    Meine Mutter hat auch viel gesponnen. Zuerst auf einem Flachsspinnrad, weil, als sie es sich anschaffte, Wollspinnräder noch nicht so verbreitet waren, später dann auf einem Wollspinnrad. Sie hat auch selbst Wolle gefärbt usw. Jetzt steht alles herum 🙁
    Ich finde es sehr schön, dass Du Dich um das alte Stück kümmerst! Konnte Deine Mutter nie spinnen oder kann sie es nicht mehr? Denn eine praktische Vorführung würde die Enkel/Urenkel sicher beeindrucken!

  3. Momfilou sagt:

    Ist denn das Spinnrad eine Ziege oder ein Bock? Ich hatte mal einen Bock, aber ich könnte mit beiden spinnen, am liebsten Wolle. Flachs braucht härtere Finger…

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