2021,364: Die Vorherrschaft

Vielleicht erreicht durch die schiere Vielzahl.

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Es ist ein Phänomen, daß ein kurzer beschissener Moment alles versauen kann: das Jahr, den Urlaub, eine Beziehung, eine Wanderung. Alles Schöne und Gute wird von diesem winzigen Teil so stark überdeckt, daß es nicht mehr sichtbar ist, außerhalb der Erinnerung bleibt, wie nie erfahren und nie geschehen ist. Warum nur schaffen es unser Hirn, unser Denken und Empfinden nicht, genau diese Kraft auch einem glücklichen, einem wundervollen, guten Moment zuzugestehen? Sind es die gesammelten Erfahrungen, die das nicht zulassen, ist es eine anerzogene Konditionierung, die mich glauben macht, „das stehe mir nicht zu”? Wie sich das Denken und Fühlen doch verändert hat. Überall wird wahrnehmbar, daß nur noch ein Scheitern befürchtet wird, in allem, was ein Mensch unternimmt: Das ist schon lange üblich. Ich kann mich aber auch noch an Zeiten erinnern, da ein „Ich schaff das schon!” bei allem möglichen zu hören war. Zeiten, in denen nicht zuerst der Haken an einer Sache gesucht wurde. Zeiten, in denen nicht die Ängste dominierten. Sie scheinen schon Jahrzehnte her zu sein. (Ja, die Erinnerungen sind auch auf diesem Gebiet wirklich nicht sehr zuverlässig, ich weiß, auch sie werden durch beschissene Momente verfälscht.)

Aber über die diese schlechten Momente wollte, will ich ja gar nicht schreiben. Ganz im Gegenteil. Von meinem Versuch, mit guten bis hervorragenden Ereignissen umzugehen (was mir ja sowieso richtig schwerfällt), möchte ich etwas sagen. Zunächst: Ich schreibe alle, wirklich alle guten Momente auf, notiere, wie sie im Moment wirkten. Und das tu ich mit den schlechten Momenten nicht mehr. Wer was wie wo wann womit vollbrachte, möchte ich mir nur noch von dem vor dem Vergessen bewahren, das mich lächeln, grinsen, lachen, aufatmen, glücklich- oder zufriedensein läßt. Das sind die Elemente, die mein Leben bestimmen sollen, die mich weitergehen lassen. Was war das denn alles? – NEIN, kein Jahresrückblick. Es gab genug von allem, jedenfalls so viel von allem Guten, daß ich nicht verlorenging im Verlauf eines Jahres. Wenn ich in meinen Kladden blättere, fällt mir allerdings auf, wie „klein” manchmal die guten gegen die schlechten Dingen erscheinen, weil die Furcht so einiges unnatürlich vergrößert. Auch deshalb notiere ich mit keine Unglücke mehr (kann manche aber auch nicht einfach so vergessen). So finde ich in den tagebuchähnlichen Einträgen Belangloses neben Unwichtigem, Alltägliches neben Uninteressantem. Immer wieder mal findet sich die Beschreibung eines kleines Glückes, eines gemachten Schnäppchens; da wird erhaltene Post dokumentiert (aber weder Rechnungen noch Mahnungen) und ich notierte Sätze, die ich in Bussen und Straßenbahnen wie nebenher aufschnappte.

Vielleicht kann ich am Ende des nächsten Jahres einen weitaus deutlicheren Unterschied zwischen den älteren und den aktuellen Notizen feststellen als heute. Denn noch fehlt mir die eine oder andere Übung im Umgang mit dem Erlebten, das gut ist. Ich schreibe und rede zu Vieles noch viel zu klein. Es wird dauern, ehe ich wie selbstverständlich große Worte für kleine Glücke nutze. Und so bleibt das größte Glück „nur” ein sehr besonderes Weihnachtsfest, auf das ich mich eingelassen hatte. Aber mehr werde ich dazu nicht schreiben oder sagen … Es bleibt auch bei Anderem eher dieses verschämte ”ja da freue ich mich drüber”-Gestammel, statt daß es das durchaus angemeßne Jubelgeschrei wurde. Doch in mir, in mir (und in den Notaten) horte ich nun (nur noch) die guten Momente, an die ich mich bewußt erinnern möchte und muß und auch werde. Und täglich schreibe ich von nun an neue davon hinzu, bis diese alle die Vorherrschaft über meine Erfahrungen übernehmen.

Das ist wie bei diesem Gleichnis mit den in mir wohnenden Wölfen, nichts anderes, nicht wahr?

 

Ich schleiche mich davon und sage Danke fürs Lesen.

Der Emil

 

P.S.: Am 30.12.2021 war positiv das einfache Einpacken, die funktionierende Rückfahrt, viele Anregungen zum Nachdenken und Bedenken.
 
Die Tageskarte für morgen ist VI – Die Liebenden

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Über Der Emil

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