Ich muß den Brief nur noch schreiben.
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Hätte ich ihr einen Brief geschrieben, damals im Jahre 1968, und wäre ich damals vielleicht schon 20 oder 21 gewesen: Das ist die Antwort die sie mir hätte schreiben können, vielleicht. Sie: Eva Strittmatter. Allerdings war ich 1968 viel zu jung und meine Zweifel – die wurden damals (also 1983) von einem Redakteur der Zeitung „Junge Welt” anders beantwortet. Aber auch der schrieb in seinem letzten Satz an mich, daß es allein darauf ankommt, ob man schreiben will und muß.
29. Juni
Ob es Zweck hat, daß Sie schreiben. Das ist eine unbeantwortbare und unsinnige Frage. Man schreibt nicht, weil es Zweck hat, sondern weil man schreiben muß. Wenn Sie schreiben müssen, werden Sie schreiben, ob es Zweck hat oder nicht, ob ihnen andere Menschen sagen: laß es sein oder laß es nicht. Können Sie das Schreiben aufgeben, werden Sie es tun, werden von anderen Dingen beansprucht werden, und es bleibt Ihnen zum Schreiben keine Zeit. So geht es vielen Menschen, die in ihrer Jugend geschrieben haben. Wenn Sie aber anders nicht leben können, wenn das Schreiben das einzige Mittel ist, das Ihnen zu leben gestattet, dann werden Sie schreiben und mit der Zeit auch erfahren, was und wie Sie schreiben müssen.
Eva Strittmatter: Briefe aus Schulzenhof. S. 155 f.
2. Auflage 1979, © 1977 Aufbau-Verlag Verlag Berlin und Weimar
Lizenz-Nr. 301. 120/51/79 · Bestellnr. 611 938 1
Und, wenn ich mir diese Worte erlauben darf: Ist dieser Brief nicht für jeden zweifelnden Schreibenden ein Text, der etwas Wesentliches trifft? Ich werde diesen Brief von jetzt ab immer hier nachlesen können, wenn ich einmal mehr an meinem Schreiben zweifle, wenn ich keinen Sinn mehr darin sehe und mich ob der Sinnlosigkeit mit Fragen quäle, die einfach nicht gestellt werden müssen. Die ich mir aber immer wieder stelle, trotzdem. Ich habe es nie geschafft, mich von diesem Gefühl des Ungenügens zu befreien. Ich habe mir deshalb zu Weihnachten diesen Brief geschenkt,
Nun ist es nicht so, daß ich Autor werden will oder mich sogar als solchen wahrnehme. Oh nein! Aber ich schreibe. Einiges von dem, was ich schreibe, landet hier oder in irgendeinem anderen Blog. Vieles verläßt das Papier nicht, auf dem es aufgeschrieben wurde. Das ist völlig in Ordnung so, wahrscheinlich nicht nur für mich gut so. Ich habe immer geschrieben, seit ich auf die EOS wechselte, also seit 1978. Viele von den Texten existieren nicht mehr, weil ich sie irgendwann weggeworfen oder verbrannt habe. Aber allein in all meinen Bolgs treiben sich etwa 6.000 (Sechstausend!) Artikel herum, von denen meiner Schätzung nach zwischen zwei- und dreitausend Geschriebenes sind. Wenn ich daran zurückdenke, wie das Alles begann, als eine tägliche Routine gegen eine Krankheit. Davor schrieb ich ja nicht jeden Tag, schrieb aber, in Newsgroups im nntp://, irgendwann begann ich bei myspace, dann suchte ich nach einer anderen Plattform … Ja, ich wollte und will zeigen, was ich schreibe; auch wie ich lebe, zeige ich hier zum Teil.
Autor. Nein. Schreibender. Ja. Dazu hat im nun fast beendeten Jahr auch gehört, daß ich viele, sehr viele Notizen durch den Reißwolf geschoben habe, ohne sie vorher zu scannen oder abzufotografieren. Wenn etwas unangerührt fast zehn Jahre oder sogar noch viel länger herumliegt, wenn es unfertig blieb und auch jetzt, beim Ansehen, keine Idee kommt und kein Gefühl für den Text mehr erwächst: Weg damit. Nur sehr selten habe ich dem Papier, den Worten auf Papier Tränen nachgeweint. Und auch auf der Festplatte mit den Scans (und allen meinen Fotos) habe ich genauso aufgeräumt, alte Zettel endgültig verschwinden lassen: Ich löschte in diesem Jahr um die 4 GB an Dateien, die von mir handbeschriebenes Papier waren.
Noch weiß ich noch immer nicht, wie ich mit meiner Papierflut umgehen soll. Bis ich einen Weg Finde, werde ich weiterschreiben. Jeden Tag. Und auch jeden Tag einen Beitrag hier veröffentlichen. Nur für mich im stillen Kämmerlein Dinge aufzuschreiben, das reicht mir eben nicht mehr. Und es ist nicht abzusehen, daß etwas anderes mich so sehr beanspruchen wird, daß ich keine Zeit mehr fürs Schreiben finden werde.
Ich bleibe Schreibender. Schriftsteller mag ich nicht genannt werden. (Und ich habe keine Ahnung, warum ich euch das alles jetzt erzählen mußte. Tja.)
Ich schleiche mich davon, wünsche einen angenehmen zweiten Weihnachtstag und sage Danke fürs Lesen.
P.S.: Am 24.12.2021 waren positiv viel Vorfreude, einige im Haushalt erledigte Dinge, ein ungewöhnlicher Weihnachtsabend..
Die Tageskarte für morgen ist das Ass der Stäbe.
© 2021 – Der Emil. Text & Bilder unter der Creative Commons 4.0 Unported Lizenz
(Namensnennung, keine kommerzielle Verwertung, keine Veränderung).
Dieses Dich-Zieren in Sachen Selbstbezeichnung in Ehren … aaaber: Autor und Schriftsteller nennen sich weit weniger begabte Menschen als du.
Es geht, wie Frau Strittmatter so gut schreibt, um die Motivation, den Drang, nicht um die Reaktion der Welt auf deine Outputs. Genau das!
Du erstellst literarische Texte und Schriften, die etwas transportieren? Du verfasst geistige Werke? Das sind laut Wiki die Definitionen der beiden Beruf(ung)e(n).
Aber natürlich musst du es selbst wissen … und tun, was getan werden will.
Du weißt: Die Ungläubigkeit groß in mir ist (und der Zweifel).