#Adventskalender 2021 – (338): Das 4. Türchen

Ein sehr seltsamer Weihnachtswunsch.
(Emende e Hutzngeschicht.)

To get a Google translation use this link.

 
Das ist mein 12. Adventskalender, den ich all denen widme, die kämpfen, allen, die krank sind, allen, die Unterstützung benötigen. Möge uns allen eine im wahrsten Sinne des Wortes wunder­volle Weihnachtszeit beschieden sein. Meine Kerzen brennen insbesondere für Menschen (und Tiere), die Hoffnung und Trost brauchen.

 

Diese Geschichte kenne ich als eine, die heute zu den „urban legends” zählen würde. Der Einfachheit gebe ich sie hier hochdeutsch wieder, und nicht in Erzgebirgisch-Vogtländischer Mundart, in der ich sie mehrfach (mit jeweils unterschiedlichen Orts- und anderen Angaben) hörte.

 

 

Gerade hatte sich die ganze Familie des Dorfarztes nach dem Neunerlei von der Festtagstafel erhoben, als Sturm geklingelt und gegen die Haustür gehämmert wurde. Um diese Zeit, fragte sich murmelnd der Doktor und ging und öffnete. Draußen stand der Sohn von einem Bauern, dessen Gehöft weit draußen vorm Ort war. Er forderte den Arzt auf, ganz dringend zu seiner Großmutter zu kommen. Zur Großmutter? Die war noch nie in seiner Sprechstunde, all die 40 Jahre nicht, die der Landarzt schon in diesem Dorf war. Und der junge Mann konnte auch nichts genaues über die Beschwerden der Großmutter sagen, flehte nur immer wieder, daß der Arzt dringend auf den Hof kommen müsse zur Oma. Es sei wirklich dringend jetzt, denn schon drei Tage lang velangte die Oma den Arzt zu sehen, es sei nur bisher keine Zeit gewesen, ins Dorf zu fahren und ein Telefon gab es auf dem Hof draußen nicht. Und heute hatte das Jammern der Großmutter nochein­mal zugenommen. Nun, was soll ein Arzt in einer solchen Situation wohl tun? Als Dorfarzt war man ja nie außer Dienst, auch am Heiligen Abend nicht. Gut, daß der Doktor nur ein kleines Gläschen Wein getrunken und seinen Durst zum Neunerlei mit Saft gestillt hatte. Er sagte sein Kommen zu, ging nach drinnen und verabschiedete sich von der Familie. Es lag schließlich ein Notfall vor. Dann nahm er seine Tasche, zog den Mantel und die Stiefel an, setzte sich in seinen alten, klapprigen P70 und fuhr hinaus zum Bauerngut.

Kurz vorm Hoftor hatte er den Bauernsohn mit dessen Traktor eingeholt. Der Bauernsohn öffnete dem Doktor die Tür. Drinnen fand sich in der Küche eine quicklebendige, über 90 Jahre alte Großmutter. Der Arzt stand völlig verdattert noch auf der Schwelle und wollte wissen, wie denn diese Wunderheilung geschehen sei. Welche Heilung denn, fragte die resolute Oma, ihr habe doch nie etwas gefehlt? Sie sei schließlich noch nie beim Doktor in der Praxis gewesen und der Doktor war auch wegen ihr noch nie auf dem Hof? Aber ihr Enkel hatte es so dringend gemacht, am Heilig Abend, direkt nach dem Essen. Da muß es doch einen Grund dafür gegeben haben. Vielleicht, so dachte die Großmutter daraufhin laut, habe man den Weihnachtsscherz mißverstanden, den sie sich erlaubt hatte. Denn sie hatte ja immer alles gehabt, was sie brauchte, und die Kinder und Enkel haben so gedrängelt. Sie sollte unbedingt verraten, was sie sich denn nun zu Weihnachten wünsche. Aber sie wollte nichts, nur, daß die Familie wieder zusammen­sitze zu den Mahlzeiten. Und als die immer weiter gedrängelt haben, da sagte sie wohl ein Mal, ein einziges Mal, daß sie den neuen Doktor noch gar nicht kenne und den gerne mal sehen möchte, zu Weihnachten. Aber das hatte sie doch keineswegs ernstgemeint!

Bäuerin und Bauer waren mittlerweile auch aus dem Stall gekommen, wegen des ungewöhnlichen Besuches. Der Bauernsohn stand ziemlich bedröppelt daneben. Der Doktor zog erst ein grimmiges, dann ein verschmitztes Gesicht und begann dann zu lachen. Derweil holte die Großmutter aus der Vorratskammer einen halben gestrichenen Stollen und ein Fläschchen selbstgemachten Haselnußlikör. Beides wollte sie dem Arzt mitgeben als Dank für seine vergebliche Mühe. Und entschuldigt hat sie sich auch mehrfach. So hatte sie das ja nie gemeint. Und nun mußte der Herr Doktor seine Familie alleine­lassen ausgerechnet am Heiligen Abend. Da müsse er die Gaben schon annehmen. Die Großmutter dankte dann noch für den schnellen Besuch, jetzt wußte sie ja auch, daß sie sich im Ernstfall auf den Herrn Doktor verlassen könne.

Eine halbe Stunde später war der Dorfarzt wieder zuhause, saß mit der Familie neben dem Weihnachstbaum, man prostete sich mir dem Haselnußlikör zu und lächelte über den doch sehr seltsamen Weihnachtsscherz. Und alle waren froh, daß am Ende nichts Ernstes ein so schönes Fest vermiest hatte.

 

 

Ich kenne die Geschichte mit drei verschiedenen Ortsangaben. Das Bauerngut existierte jeweils tatsächlich. Und es variierten auch das Auto und was dem Doktor dann mitgegeben wurde. Eine mündlich weitergegebene urban legend – vielleicht e Geschicht vun'n Hutznohmd – über einen mißlungenen, seltsamen Weihnachtswunsch und – wenn man so will – mit einer Spontanheilung als kleinem Weihnachtswunder.

 

Ich schleiche mich davon und wünsche eine schöne Adventszeit.

Der Emil

 

 
Wer eine Gelegenheit sucht, zur Weihnachtszeit anderen zu helfen, der kann das im Dezember täglich ab 21 Uhr des Vorabends bei der Versteigerung von #hand2hand21 tun. Die Aktion ist eine gute Idee von Meg, ihr und allen Mitwirkenden danke ich dafür.

 

P.S.: Positiv waren am 03.12.2021 der doch funktionierende cron-job, ein repariertes Räucherhäuschen, Glühwein heißer Met am Abend.
 
Die Tageskarte für heute ist I – Der Magier.

© 2021 – Der Emil. Text unter der Creative Commons 4.0 Unported Lizenz
CC by-nc-nd Website (Namensnennung, keine kommerzielle Verwertung, keine Veränderung).

Über Der Emil

Not normal. Interested in nearly everything. Wearing black. Listening. Looking. Reading. Writing. Clochard / life artist / Lebenskünstler.
Dieser Beitrag wurde unter 2021, Adventskalender, Adventskalender 2021, One Post a Day abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

7 Antworten zu #Adventskalender 2021 – (338): Das 4. Türchen

  1. Myriade sagt:

    Nette Geschichte! „Neunerlei“ habe ich noch nie gehört. Ist das das Mittag- oder das Abendessen am 24. ?

  2. Helmut sagt:

    Eine sehr feine Geschichte und die Freude an allen, die doch so angenehm alles auffassten! Weihnachten ist doch schön!

    Liebe Grüße
    Helmut

    • Der Emil sagt:

      Ich glaube, das liegt auch an „den anderen Zeiten“, denn die Geschichte soll um 1960 passiert sein. Damals waren die Menschen noch anders als heut.

  3. Gudrun sagt:

    Ich mag solche Geschichten sehr. Danke.
    Und irgendwann lege ich mir mal einen Teller für „Neinerlaa“ zu, mit Münze drunter.
    Grüße von nebenan.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert