2020-128 — Handschriftlich

Briefe sind ein ausgezeichnetes Medium.

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Ich lese ja wieder mehrere Bücher parallel. (Und ich verziere sie gerade alle mit vielen bunten Markierklebchen, viel mehr als in anderen Zeiten.)

 

 

      Der Brief will die Verständigung zwischen den Menschen, darin liegt seine Bedeutung, aber auch seine Begrenzung.
      Briefe sind ein ausgezeichnetes Medium, sie durchdringen, ergänzen, erweitern, Standpunkte werden sichtbar, sie erfassen im Rückblick Vorgänge, in gewisser Hinsicht sind Briefe immer auch ein Resümee.
      Ein wesentliches Merkmal: Der Brief gibt dem Menschen in einer gesprächsarmen Zeit die Möglichkeit zum Dialog.

Hans Cibulka: Swantow. Die Aufzeichnungen des Andreas Fleming. S. 19f.
© Mitteldeutscher Verlag Halle-Leipzig, DDR, 1982.
Lizent-Nr. 444-300/28/82 · 7001

 

 

Pah! Briefe! Heutzutage kann man doch anrufen oder whatsappen oder sowas. Briefe sind sowas von … Das muß wohl noch im Präkambrium üblich gewesen sein. Echt, seit den Dinosauriern schreibt doch niemand mehr Briefe.

Hm. Ach so? Sonderbar, daß diese Kulturtechnik als so veraltet angesehen wird. Ob das wohl etwas damit zu tun hat, daß den Kindern keine Schreibschrift mehr gelehrt wird, sie keine Handschrift mehr entwickeln “müssen”? Denn es ist doch so: Ein handschriftlicher Brief ist zu einer seltenen Kostbarkeit geworden in den letzten 25 Jahren (nach meinem eigenen Erleben). Und schon ist da wieder diese … naja, diese rhetorische Frage in meinem Kopf: “Ob ihr irgendwann auf dem Dachboden oder hinter den Büchern oder im Wäschefach die Sammlung gebündelter Text- und Sprachnachrichten aus den Messengern finden und euch daran erinnern werdet?”

So viele Briefe hab ich auch nicht aufgehoben. Ein paar wenige, einer von 1981 auf rosa Papier in rosa Umschlag. Ein paar wenige aus meiner Armeezeit, ganz wenige aus der Zeit danach. Immer mal wieder versuche ich, mit der Hand Briefe zu schreiben. Meist komme ich nicht über einen Anfang hinaus, dann verstreicht der Termin, zu dem ich ihn abschicken wollte und ich schäme mich für meine Unzuverlässigkeit und so weiter und so fort. Ich schreibe aber neuerdings (nun, schon seit geraumer Zeit) Briefe an längst Verstorbene. Um mich, meine Seele, mein Gewissen zu entlasten? Vielleicht. Jedenfalls ist die Briefform etwas, das mir beim Nachdenken und Formulieren sehr hilft – und zwar noch mehr als die reine Handschriftlichkeit. Der imaginäre Empfänger und die imaginäre Empfängerin als Ansprechpartner erfordern anderen Ausdruck, andere Formulierungen, anderen Fokus. Das Nebulöse, das Unbestimmte vieler anderer Texte hat darin keinen Platz. Sachen müssen klar und deutlich ausgesprochen – in diesem Fall aufgeschrieben – werden, damit Mimik und Gestik und Tonfall und Sprachmelodie und Bewegung und Körperhaltung, die im direkten Gespräch eine große Rolle spielen, im Brief aber fehlen, ausreichend kompensiert werden können.

Einen Brief zu schreiben war früher in den Vorfernsprechzeiten die einzige Möglichkeit, mit entfernten Freunden und Liebsten und Verwandten in Kontakt zu bleiben. In der Postkutschenzeit dauerte es bis zum Erhalt einer Antwort Wochen bis Monate. Und das Warten auf die Antwort war auch in den 80ern und 90ern noch ein wesentlicher Bestandteil der brieflichen Kommunikation und wird es wohl auch heute noch sein bei denen, die noch Briefe schreiben und erhalten. (Und ganz nebenbei: Es gab ab der sechsten Klasse Brieffreundschaften mit Schülern in der Sowjetunion, jeder schrieb in der Sprache des jeweils anderen. Meine hielten selten länger als fünf oder sechs Briefe. Da gehörte das Warten auch noch dazu.) Ich weiß, ich sollte wieder mehr Briefe schreiben. Nun, ich werde es versuchen, nicht als Vorsatz oder als Vorhaben, aber als eine Möglichkeit, mich deutlich auszudrücken, schriftsprachlich. Und so meine Fähigkeiten zum Schreiben zu verbessern. Und ja, unbedingt handschriftlich. (Ist es nicht so, daß handschriftlich notierte Inhalte von Lehrveranstaltungen wesentlich besser memoriert werden können als nur gehörte oder in eine Tastatur getippte?)

Handgeschriebene, handschriftliche Briefe also, dieses altmodisch anmutende Medium der Kommunikation.

 

Ich schleiche mich davon und sage Danke fürs Lesen.

Der Emil

 

P.S.: Positiv waren am 07.05.2020 der Fußweg zum Radio, eine aufgezeichnete Sendung, ein (wieder-)gefundener Brief.
 
Die Tageskarte für morgen ist die Sieben der Münzen.

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Über Der Emil

Not normal. Interested in nearly everything. Wearing black. Listening. Looking. Reading. Writing. Clochard / life artist / Lebenskünstler.
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6 Antworten zu 2020-128 — Handschriftlich

  1. Nati sagt:

    Ich finde Karten immer noch schön und wichtig. Egal ob aus dem Urlaub, zum Geburtstag oder Weihnachten. Viel viel schöner als eine läppische Whatsapp.
    Ja ich weiß, du hast von Briefen geschrieben. Aber auch Karten verlieren immer mehr ihren Stellenwert.

  2. Dagmar sagt:

    ein echter Brief, von Hand geschrieben… Was für ein schöner Gedanke.

  3. mijonisreise sagt:

    Ich schreibe noch regelmäßig mit einer Brieffreundin wirkliche Briefe 😊
    Mit Füller und Papier. Das tut gut und macht Spaß.

  4. Karsten Seel sagt:

    Meiner Meinung nach, hängt es mit der Geschwindigkeit zusammen. Eine Mail oder eine elektronische Nachricht kommen schneller an und werden im Idealfall auch schneller beantwortet. Meine handschriftlichen Dokumente verteilen sich auf themenbezogene Notizbücher. Hier fand ich noch kein Äquivalent. Elektronische Notizen beschränken sich auf das Notwwendigste …
    Salopp gesagt – kein Mensch reist mehr mit der Kutsche und wer Kutsche fährt, macht das in seiner Freizeit, zum Vergnügen …

  5. Pingback: Anderswo | Geschichten und Meer

  6. wildgans sagt:

    Meine Erfahrung ist, dass es mit sollte und müsste einfach net klappt…

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