Ultreïa! Tag 13 – Unbedacht und unvorbereitet auf Überraschungen am #oekuweg
Ich weiß nicht, was mich ritt: Der Weg nach Leipzig war nicht vorgesehen. Und nicht Vorgesehenes macht mir … Unbehabgen, Unwohlsein, Streß. Zwölf Kilometer mehr. Von Machern nach Leipzig. Mein Weg sollte nach Machern führen. Von da aus hatte ich noch drei Etappen geplant: in den Leipziger Westen, nach Kleinliebenau, nach Merseburg. Also wäre ich bis Mittwoch unterwegs gewesen. Doch …
Anstrengend waren die Mehrkilometer, ich rannte streckenweise (naja, ich ging schneller als notwendig) und saß irgendwann doch auf einer Bank, die sich “Tresenwaldblick” nennt (etwa acht km vorm Ortseingang Leipzig), rief in der nächstgelegenen Herberge an. Zusage. Am Horizont ein paar Leipziger Wahrzeichen, das Völkerschlachtdenkmal. Ein Ziel. Das Ziel. Nach der Brücke vor Grubnitz (die Ein-Stunden-Brücke über die Mulde), die mich verdammt viel Kraft kostete, kamen auf dem Weg noch zwei Brücken, nach dem verdammt langen Weg durch Panitzsch, über die B6 und die A14. Aber die waren ein Klacks gegen das, was mich später noch erwartete. Vorher versuchte ich an der Trabrennbahn noch, in mein Regencape zu kriechen; das Wetter war irgendwie bescheiden und es begann zu tröpfeln, zu regnen. Am Ende war es aber doch nicht so schlimm wie erwartet und ich ging ohne Cape.
Irgendwie freute ich mich auf die in Panitzsch verzeichnete Pilgerrast, doch an der muß ich vorbeigegangen sein, ohne sie als das zu erkennen, was sie ist. Drei Kilometer noch, und es war weit nach 17 Uhr gewesen. Ich verfluchte meine Idee, “Leipzig erreichen”, zog Wildcampen in Betracht, kam der Stadt immer näher. Dann endlich, direkt nach der A14-Brücke kam das Ortseingangsschild Leipzig. Die Füße brannten, der Rücken aber beschwerte sich nicht über die Last des Rucksacks. Also mußte ich nur dafür sorgen, daß der nicht aus dem Gleichgewicht gerät auf den letzten paar Metern. Und wie ich fluchte. Wie ich vor mich hinmeckerte, von der Tresenwaldblickbank an bis … ja, bis zum Ziel am Arnoldplatz. Etwas sehen, das links oder rechts vom Weg zu sehen wäre? Fehlanzeige. Tunnelblick. Nicht unangenehm, nicht schlecht, eine solche Fxierung auf ein Ziel. Aber doch unpassend zu dem, was ich bisher auf dem Weg erlebte. Keine Zeit für Menschen, keine Zeit für Käfer, Raupen (viele schwarze haarige), Mirabellen, Kirschpflaumen etc. (Doch, ich habe genascht.) Nur Zeit für die Überlegung “S-Bahn” nach Halle oder weitergehen. Ich ging. Weiter. Bis Leipzig. Im Niesel.
Die Herberge. Endlich. Eine schmale Treppe, Gitterrost. Vier Meter nach oben, zwischen Dachrinne des Nachbarn und Boden des Nebengebäudes am Pfarrhaus. So schmal, daß ich, um durchzukommen, mich auf den letzten drei Stufen bücken mußte, um den Rucksack hinaufzubekommen. Nur Matratzen, für bis zu 20 Pilger, Platz mehr als genug. Mein Gepäck explodierte wie jeden Abend. Ich ging noch zur Tankstelle, holte Essen und Bier. War duschen, dann an der Kirche, an der ich ein Twittertreffen avanciert hatte. Niemand kam, ich ging zurück, hinauf über den Abgrund. Danach noch duschen, essen, die Abendroutine mit (Kurz-)Blog und dann war es um mich geschehen. Doch diese Gitterrostreppe, die … die war am Abend ganz erträglich. Des Nachbars Dachrinne hatte gerade Pinkelhöhe – ich ging trotzdem hinunter zur Toilette. Jedes Mal. Am Morgen danach allerdings … da siegte nur die Angst vorm In-die-Hose-Scheißen dafür, daß ich den ersten Schritt machen konnte, über den Abgrund, in vier Metern Höhe, auf schmaler Treppe über dem Nichts …
Der besondere Wandertag. Ab Wurzen, das ich in durchaus unangenehmer Erinnerung habe, weil ein Wellensittich der Kinderzeit mal im heißen Mekorna-Brei aus dieser Stadt landete. Ab Wurzen, in dem ich viel zu wenige der Bodenmarkierungen entdeckte, die auf den Ökumenischen Pilgerweg verweisen. Ab Wurzen, dasich in guter Erinnerung habe, weil es eine wunderbare Herberge hatte und kurz, viel kürzer als Kamenz war. Bis Leipzig, in das ich an diesem Tag nicht gelangen wollte und in dem ich doch ankam.
Das war tatsächlich “Gehen bis an die Grenze”. An die Stadtgrenze von Leipzig, und ein Stückchen weiter bis zum Quartier.
Der Verfasser des Blogs pilgert weiter und dankt für’s Lesen.
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Grenzen überschreiten – wortwörtlich