Zustand und Vorhaben
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Die Wahrheit. Ungeschminkt, tatsächlich da, mich ängstigend und mir Mut machend.
Es ist da. Als ob es auf mich gewartet hätte – als ob ich es mir herbeigewünscht hätte. So ganz einfach, wie nebenbei, und sich selbst nicht aufdrängend ist es ganz deutlich erkennbar wieder da.
Das schwarze Loch.
In das ich mich anstrengungslos hineinsinken lassen könnte, einfach so. Um nicht sofort bis ganz nach unten zu stürzen, könnte ich – KÖNNTE! – ich es einfach mit Schnaps füllen, in dem ich antriebslos und orientierungslos und teilnahmslos mit verschwommenem Blick herumtreiben würde. Und ich müßte mich nicht anstrengen. Nicht ein bißchen. Überhaupt nicht. Ich würde nur den Alkoholpegel konstant so hoch halten (müssen/wollen), daß ich nicht – NIEMALS! – hart auf dem Boden meines schwarzen Loches aufschlagen würde, zumindest nicht bei vollem Bewußtsein. Wattig, wabbelig ist das Leben da drin. Nicht wie – oft genutztes Bild – in einem Sumpf so zäh und feuchtkalt, nein, eher wie in einer Schüssel noch nicht ganz erstarrter lichtundurchlässiger lauwarmer schwarzer Götterspeise. Mit mindestens 38 Vol. % Alkohol. Warm, dunkel, ohne Ecken und Kanten, ohne Überraschungen, ohne Gefühle.
Es wäre kraftlos zu … nein, nicht zu leben; jedenfalls ist in genau diesem schwarzen Loch da direkt vor meinen Füßen nichts möglich, das die Bewertung “Leben” verdient. Ich weiß das. Dieser Zusand, in dem Agieren nicht erträglich ist und in dem selbst Reagieren kaum stattfindet, dieser Zustand des allumfassenden, aber keinesfalls bewußten Ignorierens jeglicher Geschehnisse. Dieser Zustand, in dem ich vor etwa fünf Jahren selbst war. Das schwarze Loch. Bodenlose Abwesenheit jeglicher Realität außer einer konstanten allumfassenden Losigkeit. Und: Nur ich, ich, ich, ichichichich! Ich! Ich alleine! Nur ich alleine bin Schuld! An allem Unglück, das in dieser Welt und in allen Welten jemals geschah, gerade geschieht und jemals geschehen wird. Allein meine völlig unzureichende, gerade nicht stattfindende Existenz ist für all das Schlechte verantwortlich! (Ja, wirklich. Zu meiner Depression in ihren schlimmsten Zeiten gehörte diese Allmachtsphantasie dazu!)
Und damit: STOP!
Irgendwoher muß und will und werde ich die Kraft nehmen, die notwendig ist, um den anstrengungsfreien Verlockungen meines ganz persönlichen schwarzen Loches zu widerstehen. Ich werde weiter Kaffee, Tee und Saft und Limonade trinken statt Doppelkorn, Klarem, Whiskey und Wein. Meinen Arbeitszeitplan werde ich wieder beachten, so daß ich nicht mehr geneigt bin zu sagen: “Was soll’s; mich treibt ja nichts!”
All die erlernten, erarbeiteten und erprobten Hilfen und Techniken, die ich in der Zeit beim Radio und besonders in der Zeit seit dem Ende des Bundesfreiwilligendienstes vernachlässigt habe, brauchen wieder Platz in meinem Leben. Nur das Träumen von einer idealen Umgebung und einem idealen Leben bringt mir nicht viel. Auch wenn es noch so schön, gesellig, zufrieden, ruhig, turbulent und phantasieanregend war auf dem einsamen Gehöft. Von einem solchen Leben weitab vom schwarzen Loch auch nur zu schwadronieren hilft mir nicht viel. Mein Alltag ist anders und funktioniert anders – ohne dieses “anders” irgendwie zu bewerten.
Da ist es: Das schwarze Loch. Mein schwarzes Loch.
Heute bzw. gestern habe ich es bemerkt und war erschrocken darüber, daß ich den Fuß schon angehoben hatte zum letzten Schritt hinein in die Tiefe. Jedenfalls kam es mir gestern so vor. Deshalb – und ich bin glücklich, daß es mir gelang – ging ich im Geiste ein paar Schritte zurück, vom Rand weg, um mich gründlich umzusehen. Was ich sogar mehr als gründlich getan habe. Ergebnis: So schlimm, wie es sich hier (wahrscheinlich) liest, so schlimm war und ist es wirklich nicht. Ja, ich stand am Rand, was auch mit der Entscheidung vom Mittwoch zu tun hat, ganz bestimmt. Vielleicht war die dazu führende Einsicht (zumindest teilweise) das letzte Stück Weg zum Rand meines schwarzen Loches. Eigene Schwächen zu erkennen, mir selbst einzugestehen, daß ich etwas nicht mehr leisten kann, nicht mehr tun kann. Aber das hat mir lange Zeit Spaß gemacht, das war ein Teil des Sinns in meinem Leben bzw. ich hatte es zu einem Teil des Sinns in meinem Leben gemacht. Es ist nierderdrückend, deprimierend, soetwas aufgeben zu müssen.
Doch das Aufgegebene oder noch Aufzugebende war nicht mein ganzes Leben, sogar “nur” ein Teil, der mir heute und seit Monaten schon nur noch belastend erschien und erscheint. Ich bin außerdem nicht auf der Welt, um mich selbst zu quälen bei der Erfüllung der Erwartungen, die andere vielleicht an mich haben. Nein, ich achte auf mich und meine Energie und mein Gemüt. (Schön wäre es, wenn es immer klappen würde.)
Da ist das schwarze Loch. Da ist das, was ich “mein schwarzes Loch” nenne, in das ich versinken kann, in dem ich schon war, aus dem ich entkam, mich herausziehen, herausarbeiten, herauskämpfen konnte, vor dem ich mich fürchte und vor dem ich Respekt habe. In das ich nicht wieder hineinwill.
Vorsichtshalber habe ich mit diesem Text hier frisches Flatterband darum herum gezogen. Ich werde nicht hineinsteigen noch hineinstolpern.
Ich hatte es übersehen, dann glücklicherweise bemerkt und wollte davon berichten.
Die Depression ist und bleibt: Mein schwarzes Loch.
Das Aufschreiben in Bus und Bahn dauerte 25 Minuten. Das Abschreiben aus der Kladde hierher kostete viel Mut und Kraft und etwas über drei Stunden Zeit.
Der Verfasser des Blogs schleicht davon und dankt für’s Lesen.
P.S.: Positiv am 29. Oktober 2015 waren dieser Text und die in ihm beschriebene Geschichte mit genau diesem Ausgang.
Tageskarte 2015-10-30: Die Zwei der Schwerter.
© 2015 – Der Emil. Text unter der Creative Commons 4.0 Unported Lizenz
(Namensnennung, keine kommerzielle Verwertung, keine Veränderung).
Gut, dass du Flatterband hast. Das erinnert dich, dass du da nicht rein solltest.
(Ich weiß sehr gut, was du meinst.)
Irgendwie hab ich den Text auch für Dich geschrieben — aber mich nicht getraut, eine Widmung zu plazieren …
Egal. Er mußte raus und ist jetzt da und wird zu genügend Mißverständnissen führen.
*O_oo-errötenddankt*
Naja, hab ans Blaue Boot denken müssen wegen des Treibens.
„Auch für Dich“, merke ich gerade, war eine eher dem Zeitpunkt meiner Antwort geschuldete unverständliche Kürzung, um Dich nicht zu „outen“. Denn klar, dieser Text ist wirklich auch für Dich, auch für alle Depressionserfahrenen und für alle DepressionsBetroffenen (direkt & indirekt) und auch für alle die, die keine Erfahrung damit haben und hoffentlich nie damit in Berührung kommen.
Genau so habe ich es vestanden.
Es gibt doch diese Geschichte von dem Mann, der zur Arbeit geht und an einem Baustellenloch vorbei muss, beim ersten Mal fällt er hinein, weil er mit seinen Gedanken woanders ist, am nächsten Morgen ist er schon mit einem Fuss in der Grube, am dritten Morgen erinnert er sich an das Loch und geht vorbei … daran muss ich gerade denken, überhaupt denke ich immer mal wieder an diese Geschichte. Du bist jetzt auch nicht hineingefallen, gut so, aber das Loch (die Baustelle) ist ja deswegen nicht weg! Ich möchte noch etwas zitieren, der Satz stammt von dem Begründer des Butoh-Tanzes Tatsumi Hijikata:
„Heutzutage wird nur das Licht geschätzt. Aber wem verdankt das Licht sein Dasein? Dem Rücken der Finsternis, denn er trägt das Licht. Es gibt keinen Weg, die Natur des Lichtes zu verstehen, wenn man die Dunkelheit nie durchdrungen hat.“
Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann warst du schon ganz unten, jetzt bist du vom Rand zurück getreten … ich lese nur FORTSCHRITT
in diesem Sinne herzliche Grüsse
Ulli
Ja. Fortschritt. Schon.
Doch Baustelle? — Okay, paßt auch in Zeiten von BER (bei mir war’s eher ein Tagbruch).
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Zieht magsich an so ein schwarzes Loch … Flatterband. Gute Idee.
Jedenfalls kann ich mich seinem Wirkungsbereich (noch) nicht entziehen …
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Das Gefühl, immerzu um das schwarze Loch zu kreisen, sich magisch angezogen zu fühlen und dennoch dem Sog trotzend. Der Wunsch, einfach nur einen kleinen Schritt von ihm weg zu kommen und gleichzeitig die Befürchtung, das, was das eigene Sein ausmacht, aus den Augen zu verlieren.
Ich kenne diese quälenden Schreibstunden und habe mich oft gefragt, ob es die Mühe wirklich wert ist. Letztlich erkannte ich, dass jedes Wort zählt, um zu lernen, dass man wertvoll ist.
Danke Dir fürs mit-teilen.
Vielen Dank.