Wolkenkahn (Nº 50 #oneaday)

Auswahl 72 (Teil 2)

Neue Lyrik – neue Namen; Verlag Neues Leben Berlin, 1972

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Die Geschichte dazu schrieb ich vorgestern. Und ich hatte versprochen, daß ich mehr davon poste.

Heute also ein zweites Gedicht aus dieser Anthologie junger Literatur.

 
Dienstausflug

Hannelore Pech

Die Stadt, die schlotet mir den Ruß
gelbschwadig auf Gesicht und Fuß.
 
Nach kühn gefaßtem Gegenplan
verschreib ich mich dem Löwenzahn
 
und fresse mich zum letzten Blatt
des Sauerampfers durch und satt
 
und miete mir 'nen Wolkenkahn
und segle längs der Autobahn.
 
Und eh mein Fuß den Ruß verliert
hab ich Absorber konzipiert.
 

Ein schönes Beispiel für «sozialistische Dichtung». Das meine ich tatsächlich ernst und überhaupt nicht abwertend!

Es ist doch alles enthalten: Der Realismus des gelbschwadigen Rußes, den man auch als versteckte Kritik an der Umweltverschmutzung in der DDR werten kann. Die schöpferische Lösung mit dem Gegenplan und deren Realisierung mit der Konzeption der Abssorber.

Zwischendrin finde ich auch noch die – durchaus romantische – Naturbetrachtung mit Löwenzahn und Sauerampfer. Und es fehlt nicht die überschießende Phantasie der allseits entwickelten sozialistischen Persönlichkeit: im Wolkenkahn zu segeln längs der Autobahn …

(Alles noch da, alles Gelernte noch abrufbar.)

Trotzdem oder gerade deshalb: mir gefällt das Stücklein Text. Besonders diese Wendung aus der Phantasie in die Realität des Alltags in den letzten beiden Strophen.

Im Bändchen ist auch ein heftig gerastertes Schwarz-Weiß-Photo von der Dichterin enthalten. Es zeigt eine lachende, junge Frau, die ihr Kleinkind fröhlich lachend nach oben schwingt – wie es auch heute noch Mütter und Väter tun.

Hut ab vor Hannelore Pech, dieser Frau aus der Leipziger Gegend, die damals Klubhausleiterin war. Wahrscheinlich hatte sie mit dem Ruß der Braunkohlenindustrie tagtäglich zu tun und die Beschäftigten dieser Betriebe waren sicherlich manchmal im Kulturhaus zu Gast.

Auch heute wieder: Wenn ihr von diesen Gedichten noch ein paar lesen mögt, liefere ich gerne Nachschub.

Der Verfasser des Blogs schleicht sentimental davon und dankt für’s Lesen.

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© 2011 – Der Emil

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Über Der Emil

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0 Antworten zu Wolkenkahn (Nº 50 #oneaday)

  1. frizztext sagt:

    und miete mir ’nen Wolkenkahn
    und segle längs der Autobahn.
    +
    …ist natürlich wunderschön gesagt…

  2. Angie sagt:

    Das mag ich auch, aus dem Leben gegriffen, wie man so schön zu sagen pflegt!

  3. der_emil sagt:

    Ja. Und wenn ich bedenke, daß das vor fast 40 Jahren geschrieben wurde …

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