Lyrik uralt (Nº 48 #oneaday)

Auswahl 72

Neue Lyrik – neue Namen; Verlag Neues Leben Berlin, 1972

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Dieses (und einige andere) Bändchen fand ich eines Tages in der Stadt in einer Kiste "Zum Mitnehmen".

 
Zu allen Zeiten hat es Gedichte gegeben, die als junge Dichtung bezeichnet wurden. In unzähligen Anthologien gesammelt, von berühmten Dichtern und Kritikern mit ermunternden Geleitworten versehen, haben sie immer wieder die Selbstverständlichkeit und das Wagnis unternommen, neue Namen zu nennen.

Aus der "Vorbemerkung" des Bändchens
 

Einer der Namen ist zumindest in Sachsen oder in Sachsen-Anhalt noch bekannt: Bernd-Lutz Lange, ein Kabarettist und Autor. Lyrischer Dichter ist er nicht geblieben, aber er schreibt.

Als ich die Gedichte las, erinnerte ich mich wohl an den einen oder anderen (Jürgen Rennert, Volker Ebersbach), der mich auch später in der Schule noch begleitete. Aber die anderen Namen? Zumindest bis heute hat in meiner Erinnerung keiner überdauert.

Dinge zu lesen, die den Zeitgeist ihrer Entstehungszeit und ihres Entstehungsortes atmen, war erfrischend und sentimental zugleich. Selbst die Ostalgie kam nicht zu kurz, der ich gelegentlich anhänge.

In einem Text fand ich sogar eine viel allgemeinere Aussage als ursprünglich hineingeschrieben. Nicht nur 45, sondern auch 90/91 traf es zu und heute trifft es vielleicht auf andere Länder zu:

 
Letzte Ölung 45

Jürgen Rennert

Die großen Kräne stehen stumm,
Ohne sich zu bewegen,
Auf den Abraumhalden herum
Und frieren im Regen.

Ein zugrunde gegangener Staat
Verschorft unter Schmieröl und Kresse.
Pfützen liegen im schwarzen Ornat
Und lesen die Totenmesse.
 

Es ist vielleicht keine "große" Kunst. Manchem wird jede Kunst darin fehlen.

Ich habe bei diesen Zeilen Gerüche in meiner Nase und Geräusche in meinen Ohren, die ich damals ™ erlebte. Das Odeur des Klassenzimmers der 1. bis 4. Klasse zum Beispiel, das anders roch als die Zimmer später auf der EOS.

Diese Gedichte haben mich gestern zurückkatapultiert in die Zeit, da ich neun Jahre alt war (1972) oder 17 (1980). Daß ich die Regeln der Gedichtinterpretation nicht verlernt habe, die formalen Grundlagen der Lyrik noch kenne, auch das habe ich bemerkt.

Ja, die Bildung geht mir nicht verloren, auch wenn mir "mein" Land verlorenging. Und schmunzeln mußte ich trotz allem über die eine oder andere Blüte des Kunststils "Sozialistischer Realismus". Wenn ihr von diesen Gedichten noch ein paar lesen mögt, liefere ich gerne Nachschub.

Der Verfasser des Blogs schleicht sentimental davon und dankt für’s Lesen.

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© 2011 – Der Emil

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Über Der Emil

Not normal. Interested in nearly everything. Wearing black. Listening. Looking. Reading. Writing. Clochard / life artist / Lebenskünstler.
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0 Antworten zu Lyrik uralt (Nº 48 #oneaday)

  1. christA sagt:

    „Die Dichter“, hat eine meiner besten Lehrerinnen oft gesagt, „die Dichter wissen Bescheid!“

    Nicht müde werden
    sondern dem Wunder
    leise
    wie einem Vogel
    die Hand hinhalten.

    (Hilde Domin)

  2. provinzler sagt:

    Was heißt schon „Kunst“? Mir gefällt das Gedicht. Gerne mehr!

  3. frizztext sagt:

    Die großen Kräne stehen stumm,
    Ohne sich zu bewegen,
    Auf den Abraumhalden herum
    Und frieren im Regen.
    +
    ist wirklich gut!

  4. kreadiv sagt:

    Bring gerne noch mehr davon, meins isses auf den ersten Blick nicht so (vielleicht weil mir auch völlig der Bezug dazu fehlt), aber ich lese gerne auch mal „was anderes“.

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